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Dass es im Wohnungsbau kriselt, ist kein Naturgesetz

Martin Gornig und Claus Michelsen, erschienen am 29. Juni 2023 in der Wirtschaftswoche

Mehr Initiative, mehr Geld, mehr Durchsetzungskraft: Dass in Deutschland viel zu wenige neue Wohnungen entstehen, ist kein Naturgesetz. Es ließe sich ändern. Wenn die Politik es denn will. Ein Gastbeitrag.

Der Wohnungsbau blickt in den Abgrund – zumindest legen dies die Zahlen zu Baugenehmigungen und Aufträgen im Wohnungsbau nahe. Der Grund hierfür ist aber mitnichten, dass nach Jahren der Knappheit der Bedarf an Wohnraum plötzlich gestillt wäre. Im Gegenteil: Vor allem in den Städten stehen die Menschen weiterhin lange in der Schlange, um sich einen Besichtigungstermin mit hunderten anderen Interessenten zu teilen – nicht zuletzt, weil im vergangenen Jahr unter dem Strich über 1,5 Millionen Menschen mehr zu- als abgewandert sind. Der höchste Wert in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

Der Grund für die Krise im Wohnungsbau ist die Zinsentwicklung. Die Europäische Zentralbank hat nach Jahren des billigen Geldes angesichts der hohen Inflationsraten im Frühjahr 2022 eine drastische geldpolitische Wende eingeleitet. Binnen Jahresfrist haben sich die Zinssätze für Wohnungsbaukredite verdreifacht. Lagen diese zu Jahresbeginn 2022 noch bei durchschnittlich 1,3 Prozent, wurden gut ein Jahr später 3,9 Prozent vereinbart.

Das Ergebnis: Banken geben Kredite in Größenordnungen des Jahres 2010 in den Markt, dem Zeitpunkt, in dem der Immobilienmarktboom seinen Anfang nahm. Damals wurden rund 160.000 Wohnungen fertiggestellt. Zwischenzeitlich sind die Baupreise um gut 60 Prozent gestiegen – die Preise für Bauland haben sich sogar mehr als verdoppelt. Man muss kein Prophet sein, um zu verstehen, dass die Bautätigkeit deutlich sinken wird: Gut ein Jahr nach dem rasanten Anstieg der Zinsen ist die Zahl zum Bau genehmigter Wohnungen um mehr als ein Viertel gesunken.

Zwar meldete das Statistische Bundesamt für das abgelaufene Jahr 2022 noch knapp 300.000 Fertigstellungen neuer Wohnungen – und damit in etwa die Größenordnung des vorangegangenen Jahres. Manche unkten bereits, die Baukrise wäre Fiktion. Allerdings trügt der Schein erheblich. Baufertigstellungen folgen den Genehmigungen mit einer Verzögerung von rund zwei Jahren. Selbst wenn noch einige in den vergangenen Jahren genehmigte Wohnungen fertiggestellt werden, muss bereits für dieses Jahr mit einem Rückgang der Fertigstellungszahlen um rund 13 Prozent auf dann etwa 260.000 neue Wohnungen gerechnet werden. Für das Jahr 2024 könnten es weniger als 250.000 zusätzliche Wohneinheiten werden.

Eigentlich schlägt in solchen Krisensituationen die Stunde der Politik. Mehr denn je sind kluge Lösungen gefragt, die die neue Wohnungsmarktkrise an den Hörnern packen. Bislang, so scheint es, wird im zuständigen Bauministerium noch überlegt, was sinnvollerweise zu tun ist. Rezepte, die schon während der äußerst günstigen Rahmenbedingungen der letzten zehn Jahre nicht funktionierten, sollten dabei aber besser in der Mottenkiste bleiben. Gegen den Zinsanstieg und die höheren Baukosten lässt sich auch mit einem vervielfachten Baukindergeld oder ähnlichen Zuschüssen in der Breite kaum ansubventioinieren.

Sinnvoller wäre es, die vorhandenen Mittel zu konzentrieren und dort einzusetzen, wo die Härten der Wohnungsmarktkrise am größten sind und wo in den letzten Jahren ohnehin viel zu wenig passiert ist. Der soziale Wohnungsbau ist in der langen Phase niedriger Zinsen deutlich zu kurz gekommen. Gerade einmal 20.000 Sozialwohnungen wurden im vergangenen Jahr neu errichtet. Viel zu wenig, um den seit Jahrzehnten immer geringeren Bestand dieser Wohnungen zu stabilisieren. Versprochen waren 100.000 bezahlbare Wohnungen jährlich. Nun, da Kapazitäten im Bausektor frei werden und der Bedarf an kostengünstigem Wohnraum auch und gerade wegen der starken Zuwanderung groß ist, sollte dem Vorhaben ein neuer Ruck gegeben werden. Zinsvorteile, aber auch Zuschüsse können attraktive Alternativen für viele Projektentwickler sein, die den Einbruch der Nachfrage auf dem regulären Neubaumarkt kompensieren wollen.

Hierzu müssten die bisher vorgesehenen Mittel deutlich aufgestockt werden. Fünf Milliarden Euro jährlich müssten es mindestens sein und damit doppelt so viel, wie im Jahr 2023 vorgesehen sind. Da die Länder mit mindestens 30 Prozent zusätzlich mit im Boot sind, dürften damit knapp sieben Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung stehen. Berechnungen zeigen, dass dies auch in der jetzigen Marktsituation für die Finanzierung von 100.000 Sozialwohnungen reichen dürfte. Der Unterschied gegenüber den Jahren zuvor: Die Bereitschaft auf Investorenseite, dies auch umzusetzen, ist da.

Allerdings müssten auch die Länder mitziehen. Seit der Föderalismusreform im Jahr 2007 sind diese für den sozialen Wohnungsbau zuständig. Jahrelang haben sie die vereinbarten Mittel des Bundes gerne entgegengenommen, nur selten aber vollumfänglich dem angedachten Zweck zugeführt. Dies sollen sogenannte Verwaltungsvereinbarungen ändern, die auch vorsehen, nicht verwendete Mittel dort hin zu lenken, wo sie gebraucht werden. Dies klappt eher schlecht als recht: Bis die überschüssigen Mittel den Weg zurück in die Neuverteilung finden, ist das Jahr fast rum.

Daher wäre es gut, wenn der Bund perspektivisch wieder eigene Optionen für die Wohnungsbauförderung im bezahlbaren Segment bekäme. Eine Neuverhandlung der föderalen Struktur wird so schnell niemand anfassen – allerdings verfügt der Bund mit der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) über ein durchaus schlagkräftiges Instrument. Hinter dem sperrigen Namen verbirgt sich die Verwaltungsgesellschaft für Bundesimmobilien, die über ein Portfolio von knapp 40.000 Wohnungen verfügt. Dieses dient der Wohnraumversorgung der Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Die BImA verfügt aber nicht nur über Wohnungen. Sie nennt auch 87.000 Hektar unbebautes Land ihr Eigen. Es braucht wenig Kreativität, um die Fähigkeiten der BImA als Projektentwicklerin auch auf den Wohnungsbau auszuweiten. Der Pferdefuß: Die Gesellschaft ist dem Bundesfinanzministerium zugeordnet. Im FDP-geführten Haus stößt man mit derlei Ideen bislang auf wenig Gegenliebe.

Vielleicht schlägt aber tatsächlich die Stunde der Politik. Und die Beteiligten in Bund und Ländern springen für mehr bezahlbaren Wohnraum über ihre Schatten.

Mehr als nur ein leichtes Makeover

Claus Michelsen, erschienen am 22. Juni 2023 in Die Welt

Die Krise der deutschen Industrie hat sich nicht urplötzlich ereignet. Denn tatsächlich verliert der Standort schon seit Jahren an Boden. Eine kluge Wirtschaftspolitik sollte jetzt den großen Wandel in den Blick nehmen. Drei Punkte sind dabei zentral.

Das Gespenst der Deindustrialisierung geht in Deutschland um – so ist vielerorts zu hören. Und im wirtschaftspolitischen Berlin wird heftig über den nächsten „Wumms“ debattiert, der genau das verhindern soll.

Es sind meist Krisenzeiten, in denen der Ruf nach einer starken Industriepolitik laut wird. Blickt man in die Plenarprotokolle des Deutschen Bundestags, dann fallen Wortmeldungen zu diesem Thema auffällig häufig in Perioden wirtschaftlicher Umbruchprozesse. Erstmalig während der Ölkrise in den 1970er-Jahren – danach regelmäßig dann, wenn der Konjunkturmotor stotterte.

Genauso schnell, wie die Krisen aber aufflammen, verschwindet der Wunsch nach eben einer solchen Industriepolitik wieder, wenn die Wirtschaft sich erholt. Höchst selten ist dies aber das Ergebnis einer strategisch ausgerichteten Industriepolitik, die künftige Wirtschaftsstrukturen mutig entwickelt und damit die Saat für das Wachstum von morgen legt.

Ein großer Fehler, den wir jetzt zu spüren bekommen. Denn ein industrieller Kern will gepflegt werden. Genau das haben wir viel zu lange unterlassen. Blickt man auf die Produktivität der Industrie als Ausdruck ihrer Wettbewerbsfähigkeit – sie misst, wie hoch die Wirtschaftsleistung je Beschäftigten eines Sektors ausfällt – verliert der Standort Deutschland im Vergleich zu den meisten Industrieländern seit Jahren an Boden.

Mittlerweile ist Deutschland hier im Mittelfeld angelangt, wie eine aktuelle Auswertung unseres Verbands Forschender Arzneimittelhersteller zeigt. Unter den 36 OECD-Ländern belegt Deutschland nur noch Rang 20 bei der Produktivitätsentwicklung der vergangenen gut 15 Jahre.

Dies hat Gründe: Die eingesetzten Maschinen und Anlagen werden immer älter, an Gebäuden und Infrastruktur nagt der Zahn der Zeit. Und selbst das vorhandene Wissenskapital veraltet zusehends.

Dies lässt sich an der Zusammensetzung des Kapitalstocks ablesen. Steigt der Anteil von Maschinen und Anlagen, die ihre wirtschaftliche Nutzungsdauer deutlich überschritten haben, dann zeugt dies zwar von einem pfleglichen Umgang mit dem Anlagegut. Gleichzeitig gehen deutsche Unternehmen im internationalen Standortwettbewerb immer häufiger mit Oldtimern auf holprigen Straßen gegen moderne Boliden auf frisch asphaltierten Rennstrecken an den Start. 

Kurz: Deutschland investiert zu wenig in seine Zukunft und das seit Jahren. Der Modernitätsgrad des Anlagevermögens ist seit Mitte der 1990er-Jahre um knapp ein Fünftel gesunken – so stark wie in keinem anderen Land der OECD.

Unser Exporterfolg basiert aber maßgeblich auf Hightech-Produkten aus Hightech Produktionsstätten. Nur moderne Anlagen und Innovationen sorgen für einen dauerhaften Wettbewerbsvorteil in einem rohstoffarmen Land mit traditionell hohen Energie- und Arbeitskosten. Hinzu kommt, dass die USA und China Deutschland und Europa längst mit umfangreichen Subventionen im Wettlauf um die Sahnestücke der grünen Industrialisierung herausfordern.

Was also tun mit dem unverhofften Sorgenkind Industrie? Einen stumpfen Subventionswettlauf mit den USA und China einzugehen, wäre eine der schlichteren wirtschaftspolitischen Antworten auf die Herausforderungen. 

Die eigene Industriepolitik an den Entscheidungen anderer Wirtschaftsräume auszurichten, zeugt eher von Strategielosigkeit. Allzu große wirtschaftspolitische Orthodoxie ist angesichts der großen Herausforderungen in Energiewende, Digitalisierung, geopolitischer Verwerfungen, vor allem aber wegen der Demografie auch nicht ratsam.

Deutschland sollte vielmehr ein Interesse daran haben, den produktivsten Teil seiner Wirtschaft – den industriellen Kern – zu stärken. Im Gegensatz zu anderen großen europäischen Ländern ist es dem verarbeitenden Gewerbe hierzulande immer wieder gelungen, sich erfolgreich an die veränderte Situation auf den Weltmärkten anzupassen. 

Der Strukturwandel innerhalb der Industrie war der Schlüssel für den Erhalt des gesamten Produktionsnetzwerks. So wurden Schwächen in der Grundstoffindustrie durch größere Wertschöpfungsanteile im Bereich des Fahrzeugbaus oder der elektronischen Datenverarbeitung oder der pharmazeutischen Industrie ausgeglichen.

Eine Industriepolitik sollte sich daher nicht am Strukturerhalt mittels kurzfristiger Subventionen, sondern am Wandel ausrichten. Sie muss den künftigen Herausforderungen am Standort entsprechen und auf die spezifischen Stärken einzahlen.

Drei Elemente einer Industriestrategie sind hierfür wichtig: Erstens ist es sinnvoll, die Bedingungen für die Schlüsselindustrien des Landes – Hightech-Branchen mit vielversprechender Zukunft wie den Maschinenbau, die Automobilindustrie, die IT oder die Pharmaindustrie insgesamt zu stärken. Einerseits, weil ohne private Forschungsmittel keine großen Sprünge bei den F&E-Investitionen zu erwarten sind. 

Andererseits, weil die innovativen Branchen in der Regel viel weiter in andere Wirtschaftsbereiche ausstrahlen als die einfache Fertigung. Die primär auf den Mittelstand ausgerichtete steuerliche Forschungsförderung sollte deshalb weitaus großzügiger ausgestattet, Firmengründungen erleichtert und deren Finanzierung gestärkt werden.

Zweitens braucht es größeren Mut in der Unterstützung des Übergangs von der Manufaktur in die industrielle Fertigung. Die Skalierung erster industrieller Produktionslinien sollte auch Gegenstand öffentlicher Förderung werden, wenn so schneller innovative Produktionsnetzwerke aufgebaut werden können. 

Sind andere Wirtschaftsräume schneller, besteht etwa die Gefahr, dass trotz technologischer Durchbrüche keine neuen Industriearbeitsplätze entstehen. Die europäischen Programme mit diesem Ziel sind viel zu schwerfällig, um Chancen zu ergreifen.

Drittens braucht die öffentliche Infrastruktur, aber auch der private Kapitalstock mehr als nur punktuelle Kosmetik. Investitionen werden seit Jahren angemahnt, Bedarfe berechnet und dennoch zu wenig getan. Bei den Unternehmen muss der seit Jahren anhaltende Substanzverzehr aufgehalten werden. 

Ein großes Abschreibungsprogramm verbunden mit einer Offensive im Bürokratieabbau könnte für die notwendigen Impulse für private Investitionen sorgen. Die öffentliche Hand sollte die infrastrukturellen Schwächen beheben und vor allem die Voraussetzungen dafür schaffen, dass endlich die großen Gewinne der Digitalisierung realisiert werden können.

Industriepolitik ist meist teuer und risikoreich. Gleichzeitig sind die Budgets in den öffentlichen Haushalten endlich. Umso wichtiger ist deshalb eine gut vorbereitete Strategie und eine gezielte, vor allem an der Zukunft orientierte Politik, die mehr als nur ein leichtes „Makeover“ des Industriestandorts bedeutet.

Eine Hauszinssteuer könnte die Wohnungskrise in Berlin lösen

Stefan Bach, Claus Michelsen, erschienen am 9. November 2021 im Tagesspiegel

Die Neuauflage des rot-rot-grünen Regierungsbündnisses in Berlin steht schon vor dem Abschluss der Koalitionsverhandlungen stark unter Druck. Der Volkszorn über ständig steigende Mieten hat sich parallel zur Abgeordnetenhauswahl im Enteignungs-Volksentscheid Luft gemacht. Nach dem Scheitern des Mietendeckels stimmte die Mehrheit dafür, private Immobiliengesellschaften mit mehr als 3000 Wohnungen zu enteignen.

Das ist ein weiterer fragwürdiger Versuch, den Berliner Wohnungsmarkt zu entspannen: Unklare Entschädigungsverpflichtungen bis zu höheren zweistelligen Milliardenbeträgen, Verunsicherung „guter“ Investoren und „fairer“ VermieterInnen – und damit ist noch keine einzige neue Wohnung gebaut, die das Problem dauerhaft entspannt. Sinnvollerweise wird der neue Senat das Thema erst mal mit langwierigen Prüfungsaufträgen auf die lange Bank schieben. Dann muss er aber auf den Bauplätzen der Stadt liefern.

Vieles an der heutigen Debatte erinnert an die Roaring Twenties – die tatsächlich nicht so goldenen 1920er Jahre, in denen Berlin tanzte, wuchs, und vor allem aus allen Nähten platzte. Schon zu Kaisers Zeiten waren die Wohnverhältnisse für die einfachen Leute ziemlich prekär – und nach 10 Jahren Baustopp durch Ersten Weltkrieg, Nachkriegswirren und Inflation katastrophal.

Dann klotzten entschlossene sozialdemokratische und linksliberale Stadtpolitiker zusammen mit der Bau- und Wohnungswirtschaft riesige Wohnungsbauprogramme auf die grüne Wiese. Bautechnisch und städtebaulich waren die Projekte gerade in Berlin häufig innovativ und richtungsweisend: Es entstanden die klassischen Siedlungen des „Neuen Bauens“, etwa die Hufeisensiedlung, die Weiße Stadt oder die die Waldsiedlung Zehlendorf – die Architektur-Nerds und Bildungsbürger bis heute begeistern und nach wie vor beliebte Wohnlagen sind.

Für die Finanzierung sorgte die „Hauszinssteuer“ – eine Sondersteuer auf die Mieterträge, mit der Vermögensgewinne der Immobilieneigentümer abgeschöpft wurden. Denn deren Schulden waren durch die Hyperinflation 1923 so gut wie verschwunden. Im Gegenzug wurde die strikte Mietpreisbremse aus der Kriegszeit sukzessive gelockert. Die Hauszinssteuer erzielte deutschlandweit ein jährliches Aufkommen von bis zu zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts – das wären heute rund 75 Milliarden Euro im Jahr, mehr als das Doppelte von Grundsteuer, Grunderwerbsteuer und Erbschaftsteuer zusammengenommen.

Auch heute wäre das eine probate Alternative zu den Enteignungs- und Regulierungsexperimenten der vergangenen Jahre, die weitgehend zum Scheitern verurteilt waren und sind. Motto: Wenn schon Enteignung, dann richtig und die Richtigen. Wir werden doch alle ständig enteignet – durch die Steuern. Und zwar ohne direkte Entschädigung, als Gegenleistung gibt es dafür die öffentlichen Leistungen.

Die Berliner Wohnungseigentümer sind während der Immobilienmarkthausse der letzten Jahre kräftig bereichert worden, ohne viel dafür getan zu haben. Generell ist Deutschland bei Immobilien ein Niedrigsteuerland. Und selbst in der Corona-Krise hielten sich die Mieten recht gut, nicht zuletzt, weil der Staat an anderer Stelle massiv ausgeholfen hatte und durch umfangreiche Transfers Mietausfälle verhinderte. Die fiskalisch gebeutelten Mittelschichten und Besserverdiener zahlen dagegen auf ihre Erwerbseinkommen schnell 30 Prozent Einkommensteuer und Soli, plus Sozialabgaben, plus indirekte Steuern auf den Verbrauch.

Wie könnte eine Mietensteuer also aussehen? Am einfachsten wäre eine moderate Belastung aller ImmobilieneigentümerInnen mit einem Steuersatz von zum Beispiel 3 Prozent auf die Nettokaltmiete. Das ist leicht zu erheben, eine Umlage über die Nebenkosten ist nicht vorgesehen. Allerdings würden dann „faire“ VermieterInnen mit günstigen Mieten und Miethaie gleichbehandelt. Mieten die unterhalb der ortüblichen Vergleichsmiete liegen würden in Reaktion wahrscheinlich im Rahmen des rechtlich möglichen angehoben, also auf die MieterInnen überwälzt.

Besser wäre eine progressive Mietensteuer. Diese könnte normale Mieten steuerfrei stellen, etwa bis zu 110 Prozent der ortsüblichen Vergleichsmiete. Übersteigende Mietanteile würden dagegen zunehmend stärker belastet, zum Beispiel oberhalb von 110 Prozent der ortsüblichen Vergleichsmiete mit 10 Prozent, oberhalb von 120 Prozent mit 20 Prozent und oberhalb von 130 Prozent mit 30 Prozent. Die Steuer würde hier auf die hohen Mieten und somit die damit realisierte „Bodenrente“ konzentriert.

Außerdem wäre eine Überwälzung der Steuer auf die MieterInnen kaum möglich, da sich die besteuerten Mieten bereits an den Marktmieten orientieren. Das Vergleichsmietenrecht verhindert in diesen Fällen eine Mieterhöhung in laufenden Verträgen. Aufwändiger ist allerdings die Feststellung der ortsüblichen Vergleichsmiete. Dazu müsste man sich auf die wesentlichen wertbestimmenden Merkmale beschränken.

Nach unseren Berechnungen mit detaillierten Haushaltsdaten der amtlichen Statistik aus dem Jahr 2018 würde eine solche progressive Mietensteuer in Berlin immerhin ein jährliches Aufkommen von rund 200 Millionen Euro erzielen, das wären 1,2 Prozent der Berliner Steuereinnahmen 2018. Damit können Wohnungsbauprojekte angeschoben, Belegungsrechte für Sozialwohnungen erworben oder Haushalte in prekärer finanzieller Lage unterstützt werden.

So können mit dem Aufkommen beispielsweise die Mieten in 100.000 Wohnungen um 2,50 Euro je Quadratmeter und Monat gesenkt werden. Das Aufkommen könnte alternativ als Eigenkapital eingesetzt werden, um rund 7500 Wohnungen jährlich auf kommunalem Grund zu errichten. Dies entspricht immerhin knapp 50 Prozent der aktuellen Bautätigkeit in Berlin oder rund 125 Prozent der Bautätigkeit der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. Dies würde den Wohnungsmarkt in Berlin entspannen und dadurch die Mieten für alle BerlinerInnen senken.

Stefan Bach ist Steuerexperte am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Claus Michelsen ist Immobilien- und Wohnungsmarktexperte und war Konjunkturchef des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin)

Rohstoffmangel: Kaum Holz für die Hütten 

 

Claus Michelsen, erschienen am 6. Juni 2021 im Tagesspiegel

Für BörsianerInnen war die Corona-Krise ein Segen. Auf die heftigen Kursverluste im vergangenen Frühjahr folgte eine Börsenhausse, die für immer neue Rekordmarken an den großen Finanzplätzen der Welt gesorgt hat. Seit dem Tiefpunkt Ende März des vergangenen Jahres haben beispielsweise die DAX-Unternehmen zusammen mehr als 80 Prozent an Wert gewonnen. Mit Anteilspapieren wie der Aktie des Videokonferenzanbieters Zoom konnte der Einsatz sogar vervierfacht werden – ein Investment in Anteilsscheine des Impfstoffentwicklers BioNTech hat immerhin einen Gewinn von mehr als 200 Prozent gebracht. Den echten Reibach haben allerdings andere gemacht. Die Bewertungen für Rohstoffe und Vorleistungsgüter, insbesondere aber die Holzpreise sind im vergangenen Jahr förmlich explodiert: Innerhalb eines Jahres wurde Bauholz fast 700 Prozent teurer gehandelt. 

 

Dies alles ist symptomatisch für die Schwierigkeiten der Weltwirtschaft, sich von der Corona-Krise zu erholen. Denn die Entwicklung auf dem Holzmarkt zeigt sich unterschiedlich ausgeprägt auch auf anderen Märkten für Vorleistungsgüter und Rohstoffe. Massive Verschiebungen der Nachfrage, heruntergefahrene Produktionskapazitäten, Reibungsverluste im internationalen Handel und eine schnell anspringende Weltkonjunktur führen zu Preissprüngen bei den dringend benötigten Vorleistungen und Verzögerungen in der Produktion. All das bremst die weitere Erholung aus und dürfte zudem für kleine und mittelständische Betriebe zu anders gelagerten Problemen führen. Viele Unternehmen können sich gegen derart starke Preissprünge nicht versichern – dementsprechend drücken höhere Preise bei Vorleistungsgütern die Gewinnmarge.

 

Die Gründe für den Anstieg der Holzpreise liegen in einer stark steigenden Nachfrage aus den USA und Fernost. China und die USA importieren große Mengen europäischen Holzes, weil die Baukonjunktur dort ebenso brummt wie hierzulande. Gleichzeitig fällt Kanada als wichtigste Holzexportnation immer mehr aus – da die klimatischen Bedingungen für den Bergkiefernkäfer immer besser werden, breitet sich dieser zunehmend aus und lässt die Holzernte in den großen nordamerikanischen Wäldern immer knapper ausfallen. Die Corona-Krise hat ihr Übriges getan. In Erwartung schwacher Nachfrage wurde der Holzeinschlag reduziert und der Zuschnitt von Bauholz zurückgefahren. Dies macht sich auf den Baustellen hierzulande bemerkbar. Weil Holz für die Hütten fehlt, können Handwerksbetriebe Termine nicht halten und müssen innerhalb kürzester Zeit erhebliche Preissprünge in den schon vor Monaten kalkulierten Angeboten kompensieren. Meist verfügen Handwerksbetriebe nicht über große finanzielle Polster. Im Jahr 2019 – dies zeigt das KfW-Mittelstandspanel – hatten diese ein Eigenkapitalpolster von durchschnittlich 25%. Alle anderen Branchen, selbst der Handel und die Dienstleistungsbetriebe, konnten höhere Krisenpuffer vorweisen. Entsprechend anfällig sind die Betriebe nun.

 

Was sich in normalen Zeiten und bei üblichen Preisschwankungen problemlos abfedern lässt, kann auch bislang krisenverschonte Unternehmen bei den derzeitigen Preissprüngen in existenzielle Not bringen. Der Erfolg bei der Auftragsakquise vor Monaten könnte die in den letzten Jahren so verwöhnten kleinen Handwerksbetriebe und Bauunternehmen jetzt vor die Situation stellen, in der sie einerseits vertraglich vereinbarte Strafen bei Terminuntreue zu begleichen haben und andererseits Aufträge mit großen Verlusten zu Ende bringen müssen.  Die Corona-Krise könnte so weitaus größere Kreise ziehen als bislang gedacht. Die Folge sind womöglich Unternehmenspleiten, geringere Investitionen oder eine vorsichtigere Personalpolitik. Im vergangenen Jahr war die Insolvenzmeldepflicht ausgesetzt, die Zahl der eröffneten Verfahren blieb entsprechend gering. Dies könnte sich nun ändern.

 

Um die Liquidität zu sichern wäre es sinnvoll, auch für eigentlich erfolgreiche, aber kurzfristig nicht profitable Unternehmen den Zugang zu Corona-Hilfskrediten und anderen Unterstützungen zu öffnen, um so Schieflagen zu vermeiden, die zwar nicht auf die unmittelbaren Auswirkungen der Corona-Krise sondern auf die Verwerfungen beim Wideranfahren der wirtschaftlichen Aktivität berücksichtigen zurückzuführen sind. Geradezu prädestiniert dafür ist das Instrument des Verlustrücktrags, der ausgeweitet werden sollte. Er wirkt zielgenau dort, wo erfolgreiche Unternehmen plötzlich rote Zahlen schreiben und die liquiden Mittel fehlen, um den Geschäftsbetrieb aufrecht zu erhalten. Zumal die in den USA jüngst schon wieder eingebrochenen Holzpreise darauf hindeuten, dass sich die Lage etwas entspannt. 

 

Dies würde auch den Haushalten helfen, bei denen mit dem Bau des Eigenheims die Zeit bis zur Fertigstellung drängt. Denn auch dort gilt in der Regel: Zeit ist Geld. Doppelte Zahlungen der Miete und zur Tilgung der Hypotheken belasten die Haushaltskasse und können auf Dauer nicht funktionieren. 

Öffentliche Investitionen zahlen sich dreifach aus

Marius Clemens, Claus Michelsen, erschienen am 5. Mai 2021 auf blog-bpoe.com

Aktuell bestimmen die Folgen der Corona-Krise die wirtschaftspolitische Debatte in Deutschland. Es geht darum, das Überleben zahlreicher Unternehmen zu sichern, Arbeitsplätze zu erhalten und die Pandemie endlich in den Griff zu bekommen. Der Staat nimmt hierzu erhebliche Summen in die Hand. So ist nach Jahren der Überschüsse in den öffentlichen Kassen das letzte Jahr mit einem Minus von rund 140 Milliarden Euro abgeschlossen worden – in diesem Jahr wird das Defizit voraussichtlich noch einmal auf 160 Milliarden Euro ansteigen.

Hinzu kommen Kredite und Beteiligungen für in Not geratene Unternehmen, sowie ein Risikopuffer um auch für den Fall ungünstigerer Pandemieverläufe gewappnet zu sein oder auch weitere Impfrunden zu finanzieren. Der Bund hat dazu die maximale Nettokreditaufnahme in diesem Jahr auf 240 Milliarden Euro angehoben. Dies alles ist notwendig um die Krise zu bewältigen, hinterlässt aber auch Spuren: Die zukünftigen finanziellen Spielräume der öffentlichen Hand werden deutlich kleiner. Die gesamtstaatliche Schuldenstandsquote wird in nur zwei Jahren um gut 12 Prozentpunkte auf voraussichtlich mehr als 70 Prozent in Relation zum Bruttoinlandsprodukt ansteigen, im Fall der Ausschöpfung aller bereitgestellter Mittel auf gut 75 Prozent. Schon jetzt werden Forderungen laut, nach der Krise einen rigiden finanzpolitischen Kurs einzuschlagen und die Schuldenbelastung schnell zurückzuführen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass dies meist zu Lasten der öffentlichen Investitionen geschieht, zumal rentenpolitische Versprechen an anderer Stelle Mittel langfristig bereits binden.

Gute Gründe für ein Investitionsprogramm

Es wäre allerdings an der falschen Stelle gespart. Deutschlands öffentlicher Kapitalstock ist in den letzten 30 Jahren um insgesamt 20 Milliarden Euro geschrumpft – trotz Wiedervereinigungsboom und trotz voller Kassen, zumindest in den letzten 10 Jahren. Vieles spricht dafür, die Investitionshaushalte deutlich auszuweiten.

Erstens besteht ein erheblicher Nachholbedarf vor allem in der kommunalen Infrastruktur, die sichtbar verschlissen ist. Zudem birgt die Corona-Krise das Risiko eines Investitionsstopps auf kommunaler Ebene: Bereits verschuldete Gemeinden könnten Investitionen in die Infrastruktur zurückfahren müssen, da die Einnahmen wegbrechen und die langfristigen Auswirkungen der Krise die Sozialausgaben erhöhen.

Zweitens gibt es große Bedarfe für die Modernisierung bestimmter Infrastrukturen. Schätzungenzeigen, dass für die Energiewende, Digitalisierung, Bildung aber auch Forschung und Entwicklung mehr als 220 Milliarden Euro zusätzlich notwendig wären, um Deutschland fit für die Zukunft zu machen. Ohne zusätzliches öffentliches Kapital dürften viele Ziele wie die Energiewende unerreichbar bleiben.

Drittens sind deutsche Staatsanleihen international weiterhin sehr begehrt, so dass die Finanzierungsbedingungen derzeit so vorteilhaft wie nie zuvor sind: Der Bund bekommt Geld dafür geschenkt, wenn er sich am Kapitalmarkt finanziert. Selbst Vorhaben mit geringer Rendite dürften sich in diesem Umfeld rechnen, sofern sie ihre Abschreibungen selbst erwirtschaften.

Viertens haben öffentliche Investitionen gerade in der Krise eine hohe Rendite: Eine neue Studiezeigt, dass jeder Euro für öffentliche Bruttoanlageinvestitionen im Durchschnitt 1,5 Euro private Investitionen nach sich zieht. Dieser Effekt wird größer, je niedriger die Zinsen sind, je höher die Unsicherheit ist und je geringer die gesamtwirtschaftliche Auslastung ist. Neben den Bruttoanlageinvestitionen wurden auch weitere investiv wirkende Ausgaben, wie Investitionszuschüsse sowie Ausgaben in Bildung, Erziehung und Gesundheit (Humanpotentialausgaben), untersucht. Während Investitionszuschüsse kurzfristig die private Investitionstätigkeit anregen, sind öffentliche Ausgaben für Forschung und Entwicklung und Investitionen in das Humanpotenzial nachhaltiger: Diese benötigen zwar einige Zeit, bis diese auch private Investitionsausgaben anregen – dafür steigen diese aber deutlich stärker und dauerhaft an.

Fünftens sind es die privaten Investitionen, die durch die Krise erheblich belastet werden: Schwindendes Eigenkapital, steigenden Schuldenbelastung und unsichere Geschäftsaussichten lassen Unternehmen bei der Modernisierung ihrer Produktionsstätten zurückhaltend agieren. Dies wiederum lastet auf der Produktivitätsentwicklung, was in Hinblick auf das zukünftige Wachstum kontraproduktiv ist.

Sechstens können sich wichtige Schlüsselinnovationen im Anschluss an die erste Finanzierungsspritze oft nur durch ein langfristiges, kooperatives und institutionalisiertes Zusammenspiel zwischen öffentlichem und privatem Sektor weiterentwickeln. Beispielsweise könnten sich Investitionen zur Entwicklung von Impfstoffen nicht nur in der Corona-Pandemie rentieren, sondern mittel- bis langfristig zum Schutz vor anderen bislang schwer heilbaren Krankheiten eingesetzt werden. So könnte der mRNA-Impfstoff zu einer Schlüsselinnovation in der Medizinforschung werden, ähnlich wie grüner Wasserstoff beim Antrieb umweltfreundlicher Fahrzeuge, Schiffe und Flugzeuge. Die dadurch gewonnene Stabilität reduziert für die Unsicherheit für private Unternehmen langfristige, innovative, aber gleichzeitig riskante Projekte zu investieren. Eine rege öffentliche Investitionstätigkeit schafft Anreize für private Unternehmen in diesen Bereichen ihre Investitionen ebenfalls auszuweiten.

Branchen profitieren in unterschiedlicher Weise von öffentlichen Investitionen – Vom „Zukunftspaket“ sollten deutliche Stabilisierungs- und Wachstumseffekte ausgehen

Ein Investitionsprogramm würde sich je nach Ausgestaltung branchenspezifisch unterschiedlich auswirken. Unmittelbar würden allgemeine Steigerungen öffentlicher Sachinvestitionen den Aufbau des Kapitalstocks in der Baubranche, dem Bereich Reparatur und Instandhaltung, dem Maschinenbau, Automobilbranche und der Elektroindustrie anschieben. Dadurch würden Investitionsketten in Gang gesetzt, die mit Verzögerung auch in Dienstleistungsbereichen wie dem Hotel- und Gastgewerbe oder dem Einzelhandel Investitionen anregen können. Auch hier gilt, dass die Wirkung in Krisenzeiten deutlich größer ist, als in Zeiten der Normalauslastung. Alles in allem zeigen die empirischen Ergebnisse deutliche Effekte öffentlicher Investitionen in vielen Branchen, die sowohl direkt als auch längerfristig wirken.

Mit dem Konjunkturprogramm aus dem vergangenen Jahr werden erhebliche investive Mittel bereitgestellt und wichtige Zukunftsinvestitionen aufgestockt. Diese dürften sich kurz- und mittelfristig positiv auf die wirtschaftliche Entwicklung auswirken. Modellsimulationen zeigen, dass die rund 37 Milliarden Euro des Konjunkturprogramms für Bruttoanlageinvestitionen und Investitionszuschüsse zu einem zusätzlichen Anstieg der privaten Investitionen von 29 Milliarden Euro führen. Insgesamt erhöhen diese das Bruttoinlandsprodukt um 45 Milliarden Euro. Berücksichtigt man die zusätzlichen Forschungs- und Bildungsausgaben, dann dürfte der Gesamtimpuls des Konjunkturpakets von 45 Milliarden Euro im investiven Bereich zu einem Anstieg der Wirtschaftsleistung von 67 Milliarden Euro bis in das Jahr 2024 führen.

Es gibt also viele gewichtige Argumente für eine Ausweitung staatlicher Investitionen, welche sich dreifach auszahlen würden: Kurzfristig helfen sie, die aktuelle Krise schneller zu überwinden. Ganz konkret sind dies beispielsweise FuE-Ausgaben für die Entwicklung eines Impfstoffs, aber auch vorgezogene Ausrüstungsinvestitionen sowie die Entlastungen der Kommunen. Mittelfristig würden öffentliche Investitionen bspw. in den Ausbau des Glasfasernetzes oder eine effizientere öffentliche Verwaltung das durch die demografische Entwicklung schwache Produktionspotenzial Deutschlands anheben. Auch der Ausbau des Angebots in Ganztagesschulen und Kitas dürfte mittelfristig das Erwerbspotential von Familien, insbesondere von jungen Müttern, stärken. Langfristig würden mit öffentlichen Investitionen wichtige gesundheits-, klima- und sozialpolitische Probleme adressiert und die Resilienz gegenüber zukünftigen Gesundheits- und Umweltkrisen erhöhen.



Warum Immobilieneigentümer für die Krise zahlen sollten

Claus Michelsen, erschienen am 23. Januar 2021 auf Spiegel online

Gut 100 Jahre ist es her, dass das industrialisierte Deutschland seine erste große wirtschaftliche Krise erlebte. Auf die Kriegsjahre und die heftig grassierende Spanische Grippe folgte die Hyperinflation, die zu massiven wirtschaftlichen Verwerfungen führte. Damals gab es allerdings auch Krisengewinner: Eigentümerinnen und Eigentümer von Grund und Boden profitierten von der Wertstabilität der Immobilienund der gleichzeitigen Entwertung der aufgenommenen Schulden: Mit Einführung der Reichsmark und der Umrechnung aller Guthaben und Kredite von der Papiermark zur Reichsmark mit einem Kurs von eins zu einer Billion lösten sich die Verbindlichkeiten vielfach in Luft auf. Damals einigte man sich darauf, mit der Hauszinssteuer die Krisengewinner an den Kosten zu beteiligen. Darüber sollte auch heute nachgedacht werden.

Ein Jahrhundert später sind es ebenfalls die Eigentümer von Grund und Boden, die von der schweren wirtschaftlichen Krise bislang weitgehend verschont blieben, obwohl es in den deutschen Innenstädten ruhig ist, ein unbeschwerter Einkaufsbummel oder Cafébesuch nicht möglich und Büros nur gering frequentiert sind.

Was für manche Menschen noch eine wohltuende Pause von der sonst üblichen Hektik ist, wird für die meisten zu einer nervenzehrenden Angelegenheit und für nicht wenige zur gesundheitlichen oder wirtschaftlichen Existenzbedrohung: Letzteres ist vor allem für diejenigen akut, die von Laufkundschaft und sozialen Kontakten leben. Bereiche wie die Gastronomie, der Einzelhandel, Dienstleistungen für Unternehmen oder Kunst und Kultur werden durch die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie in besonderem Maße in Anspruch genommen. Die Einnahmen brechen nahezu vollständig weg – selbst in den Sommermonaten des vergangenen Jahres, als die Infektionszahlen niedrig waren, wurde nur ein Teil der üblichen Umsätze gemacht.

Laufen die Geschäfte schlecht, dann sinken die Löhne für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Viele müssen in Kurzarbeit, einigen droht gar die Kündigung. Ebenfalls gehen die Gewinne der Unternehmen zurück – das eingesetzte Kapital wird geringer verzinst – denn die Betriebskosten können nicht in demselben Maße reduziert werden, wie die Umsätze zurückgehen. Gerade im Handel, der Gastronomie und bei den Dienstleistungen sind es die Mieten für Geschäftsräume und Ladenlokale, die den größten Anteil der fixen Kosten ausmachen.

Die entscheidenden Kriterien für die Preisbildung sind dabei: Lage, Lage, Lage. Das gibt es so bei keinem anderen Produktionsfaktor. In Spitzenlagen haben sich die Mieten in den vergangenen Jahren vervielfacht: Beispielsweise hat sich die Miete von Berliner Ladenlokalen innerhalb von zehn Jahren verdoppelt – Büroflächen wurden teils für das Zwei- oder Dreifache der Miete wieder auf den Markt geworfen. All das galt unter der Annahme florierender Geschäfte. Die zugrundeliegenden Mietverträge wurden in beiderseitigem Einvernehmen meist auf Jahre geschlossen. Die Coronakrise hat diese Geschäftspläne zumindest kurzfristig obsolet gemacht. Die Lage hat derzeit keinen ökonomischen Wert mehr. 

Dennoch werden die Mietzahlungen allergrößtenteils pünktlich und vollständig geleistet. Die Preise von Immobilien steigen praktisch ungebremst. Ein wichtiger Grund hierfür ist eine äußerst expansive Geld- und Finanzpolitik, die den Rückgang der Einkommen von Haushalten begrenzt und die Unternehmen insbesondere bei den Fixkosten entlastet. Einen Gewinnausgleich hingegen gibt es nicht: Das Eigenkapital wird Stück für Stück verzehrt. Immobilieneigentümer profitieren letztlich davon, dass der Staat an anderer Stelle aushilft.

Dass der Faktor Boden allerdings weitestgehend von den Folgen der Krise freigehalten wird, ist schwer zu akzeptieren. Immobilienvermögen ist in Deutschland äußerst ungleich verteilt und so wird die Krise zu einem guten Geschäft für die oberen zehn Prozent. Ihnen gehören große Teile der deutschen Innenstädte, der Ladenzeilen und Gewerbeflächen. Zwar gibt es Berichte darüber, dass große Vermieter von Gewerbeflächen im zweiten Lockdown auf Teile der Miete verzichten – beispielsweise die CEC Gruppe der Familie Otto.

Die zahlreichen Gerichtsverfahren und mittlerweile vorliegenden Urteile sprechen aber dafür, dass dies nicht die Regel ist. Gestritten wird um die Frage, ob die Geschäftsschließungen einen Mangel der Mietsache darstellen, ob die Geschäftsgrundlage durch die Auflagen gestört wurde oder gänzlich weggefallen ist und darüber, ob dies zu einer Minderung der Miete berechtigt. Die Urteile hierzu schlagen sich überwiegend auf die Seite der Vermieterinnen und Vermieter. Geschäftsschließungen seien kein Sachmangel und nur eine vorübergehende Einbuße, urteilte beispielsweise das Landgericht in Heidelberg und sieht das Verwendungsrisiko der Mieträume allein auf Seite der Gewerbetreibenden. Im Dezember hat der Bundestag darauf reagiert und explizit berücksichtigt, dass derartige Schließungen die Geschäftsgrundlage stören. Das ist gut so. Allerdings ist es unter Juristen strittig, ob staatliche Hilfen dennoch ein Grund für die Forderung der vollen Mietzahlungen sein können. 

Vieles spricht daher dafür, die Eigentümerinnen und Eigentümer zumindest nachträglich auch an der Finanzierung der Krisenlasten zu beteiligen. Auch der Faktor Boden unterliegt – wie ein Gewerbebetrieb – wirtschaftlichen Risiken. Dass diese Risiken vollständig an anderer Stelle verortet werden, scheint nicht hinnehmbar.

Das bedeutet gleichzeitig, dass ein kleiner Teil der Gesellschaft einen großen Teil des Vermögens schadlos halten kann und sogar von Wertsteigerungen profitiert. Die Idee einer moderaten Mietensteuer wie in den Zwanzigerjahren ist in dieser Hinsicht charmant. Denn diese besteuert nicht die Substanz, sondern die Erträge von Grund und Boden – und zwar abhängig von der Höhe der Erträge. Haben sich Vermietende und Mietende bereits auf eine Absenkung der Miete geeinigt, dann führt dies automatisch zu einer geringeren steuerlichen Belastung. Denkbar ist es auch, diejenigen zu belohnen, die sich während der Krise solidarisch verhalten und die Mieten gesenkt haben. Ihr Verzicht könnte als Verlustvortrag auf die zu zahlende Steuer angerechnet werden. 

So oder so: Wer vor der Krise Immobilienvermögen aufgebaut hat, der steht nach der Krise kaum schlechter da – vielfach sogar besser. Daran würde auch eine Besteuerung im Nachgang kaum etwas ändern. Vielmehr wäre es ein Lastenausgleich, der auch den bis jetzt goldenen Boden an den Krisenkosten beteiligt.

Katerstimmung zum Jahreswechsel?

Claus Michelsen, erschienen am 7. Januar 2021 in der Fuldaer Zeitung

Ein neues Auto, eben noch eine Eck-Couch oder kurz vor dem Jahreswechsel noch einmal den Klempner das Bad auf Vordermann bringen lassen: Die Idee der kurzzeitig abgesenkten Mehrwertsteuer war es, mit Steuerrabatten für Kauflaune bei den privaten Haushalten zusorgen. Diese hatten in Corona-Zeiten all zuviel Geld auf die hohe Kante gelegt, anstatt es auszugeben und damit die wirtschaftliche Erholung anzuschieben. Von knapp elf Prozent im Frühjahr 2020 hat sich die Sparquote auf mehr als 20 Prozent imSommer des vergangenen Jahres in etwa verdoppelt.

Um Anreize für zusätzlichen Konsum zuschaffen, hat die Bundesregierung daher für ein halbes Jahr auf drei Prozentpunkte der Mehrwertsteuer verzichtet. Die Wirksamkeit dieses Experiments ist umstritten. Befragungen zeigen, dass nur ein geringer Anteil der Haushalte die Gelegenheit zum Schnäppchen vor dem Jahreswechsel genutzt haben dürfte. Danach haben die vorgezogenen Käufe ein Gesamtvolumen von geschätzten 6,4 Milliarden Euro – gemessen an den Steuermindereinnahmen von 20 Milliarden Euro scheint dies auf den ersten Blick ein schlechtes Geschäft zu sein.

Bei genauerem Hinsehen fällt die Bilanz aber weniger düster aus. Denn von der Gesamtsumme kommt längst nicht alles direkt bei den Verbrauchern an. Etwa vier Milliarden Euro spart allein der Staat mit seiner Steuersenkung bei den eigenen Einkäufen. Weitere drei Milliarden gehen in die Bauwirtschaft und in das Finanzwesen. Für die Haushalte bliebe eine Entlastung von etwa 13 Milliarden Euro übrig, aber auch nur dann, wenn diese über die Preise vollständig weitergegeben würde – was in krisengeschüttelten Branchen wie der Gastronomie verständlicherweise kaum der Fall war.

Rund die Hälfte bis zwei Drittel der Steuersenkung – also etwa 6,5 bis 8,5 Milliarden Euro – dürften also am Ende als Konsumimpuls für die privaten Haushalte zu Buche schlagen. Wenn dies dann zu zusätzlichen Ausgaben von 6,4 Milliarden Euro für größere Anschaffungen geführt und die Steuersenkung darüberhinaus für viele Geringverdiener den Lebensunterhalt vergünstigt hat, dann ist die Bilanz nicht ganz so schlecht, wie von vielen derzeit geurteilt wird. Denn auch die kleinen Entlastungen schaffen Raum für Mehrkonsum, der dann in der Summe die Nachfrage spürbar anschiebt.

Nun folgt nach dem Konsumrausch aber keineswegs der Kater. Zum Jahreswechsel steigt die Mehrwertsteuer zwar wie angekündigt wieder auf ihre Regelsätze – gleichzeitig fällt aber für die meisten Steuerzahler der Solidaritätszuschlag weg, das Kindergeld wird erhöht und Familien werden steuerlich entlastet. Allein diese Maßnahmen haben einen Gegenwert von rund 13 Milliarden Euro und kompensieren damit die Anhebung der Mehrwertsteuer. Hinzukommen die erheblich gestiegenen Ersparnisse der privaten Haushalte.

Wenn endlich wieder Reisen möglich sind, Theater, Kinos und Bars öffnen können, dann haben sie ausreichend Kaufkraft, um für eine Erholung in den krisengebeutelten Branchen zu sorgen. Voraussetzung ist allerdings, dass die Pandemie bald eingedämmt werden kann. Nur dann sind derlei Vergnügungen überhaupt erst wieder unbeschwert möglich.

Was die bisherigen Corona-Programme gebracht haben

Marius Clemens, Geraldine Dany-Knedlik, Britta Gehrke, Simon Junker, Claus Michelsen, erschienen am 4. November 2020 auf Makronom.de

Die stark steigenden Infektionszahlen im Herbst zeigen, dass die Corona-Krise noch lange nicht vorüber ist. Aufgrund der neuerlichen Infektionswelle dürfte aktuellen Berechnungen des DIW Berlin zufolge das Bruttoinlandsprodukt im 4. Quartal des Jahre 2020 um 19 Milliarden Euro bzw. 2,5 Prozentpunkte geringer ausfallen, als noch im Oktober erwartet. Deutschlands Wirtschaft dürfte im Schlussquartal erneut deutlich schrumpfen. Kann die Pandemie nicht eingedämmt werden, dürfte der wirtschaftliche Schaden deutlich größer ausfallen.

Die Wirtschaftspolitik steht deshalb weiterhin vor enormen Herausforderungen, die nicht nur in den kommenden Monaten, sondern auch darüber hinaus außergewöhnliche Schritte zur Krisenbewältigung erfordern (mehr dazu hier).

In diesem Beitrag geht es primär darum, die bereits im Frühjahr beschlossenen Soforthilfemaßnahmen und das im Juni 2020 verabschiedete Konjunkturprogramm zu analysieren. Beide waren in ihrem Umfang und in ihrer Struktur einzigartig.


Anatomie der Krise vielschichtig – keine wirtschaftspolitische Patentlösung

Die Pandemie wirkt über viele Mechanismen in das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben hinein. Dementsprechend gibt es auch keine einzelne wirtschaftspolitische Maßnahme, die den Konsequenzen gerecht wird. Die stringenten Kontakteinschränkungen, welche größere Teile des Waren- und Dienstleistungsangebots im Frühjahr unterbunden haben, waren eine effiziente Reaktion auf die unkontrolliert steigenden Infektionszahlen. Zwar hätten die Verbraucherinnen und Verbraucher – angesichts steigender Infektionszahlen – auch von sich aus soziale Aktivitäten reduziert, die Auswirkungen des eigenen Verhaltens auf die Gesellschaft wären aber voraussichtlich unterschätzt worden.


Die angebotsseitigen Einschränkungen des Geschäftsverkehrs führten bei Unternehmen unmittelbar zu Liquiditätsengpässen. Die im Frühjahr beschlossenen Soforthilfemaßnahmen sind darauf ausgelegt, die Liquidität der Unternehmen zu sichern und die Beschäftigung zu stabilisieren. Es war richtig, rasch zu signalisieren, dass der Staat Unternehmen kurzfristig unterstützt und damit eine Versicherungsfunktion gegenüber unerwarteten Schocks wahrnimmt. Dies dürfte die Wirtschaft in Deutschland und vielen anderen Ländern des Euroraums massiv gestützt haben.


Neben den direkten finanziellen Hilfen ist insbesondere das Kurzarbeitergeld ein probates Mittel: So stabilisiert es nicht nur die Liquidität der Unternehmen, sondern auch die Einkommen der privaten Haushalte, was insbesondere Wohlfahrtsverluste einkommensschwächerer Haushalten verringert haben dürfte. Kurzarbeit ist ein effektiver automatischer Stabilisator des Arbeitsmarktes, da in der Krise mehr Unternehmen die Voraussetzungen zur Nutzung von Kurzarbeit erfüllen. Darüber hinaus hat die Politik im Zuge der Coronakrise die Voraussetzungen für Kurzarbeit massiv erleichtert. Es ist davon auszugehen, dass diese temporären Änderungen der Kurzarbeitsregeln in der Corona-Ausnahmesituation zusätzlich den Arbeitsmarkt stabilisieren.


Hierbei ist allerdings das Timing entscheidend – nur in tiefen Rezessionen sind solche Ausweitungen sinnvoll. Es wäre daher ideal, die Kurzarbeit nicht diskretionär auszuweiten, sondern Regeländerungen direkt an den Konjunkturverlauf zu koppeln. So könnten Nachteile und Kosten, die durch mögliche Fehlallokationen der staatlichen Hilfen hinzu unproduktiven oder eigentlich liquiden Unternehmen entstehen, so gering wie möglich gehalten werden.


Die angebotsseitigen Einschränkungen des nationalen und internationalen Geschäftsverkehrs hatten massive Rückgänge der Nachfrage entlang den Wertschöpfungsketten zur Folge. Entsprechend sank die Nachfrage auch von nicht direkt durch die Einschränkungen von betroffenen Wirtschaftsbereichen. Auch die weltweit geringeren Einkommen der privaten Haushalte und die weggebrochenen Gewinne der Unternehmen lasten auf der Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen und schwächen damit die Konsum-, Investitions- sowie die deutsche Exportgüternachfrage. Zusätzlich führen die durch die Pandemie gestiegene Unsicherheit und sinkende Inflationserwartungen dazu, dass insbesondere Investitionen, aber auch der private Konsum eingeschränkt werden. Dies hat in der Corona-Krise in besonders hohem Maße sowohl die Inlands- als auch die Auslandsnachfrage belastet. Fast alle Sektoren – wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß – waren im 1. Halbjahr negativ von der Krise betroffen.


Vieles deutet darauf hin, dass nachfrageanregende Impulse notwendig sind, um eine tiefere und längere Rezession mit erheblichen Arbeitsplatzverlusten, Insolvenzen und einem tiefen Vertrauensverlust von Unternehmen und Haushalten entgegenzuwirken: So legen empirische Studien nahe, dass Epidemien im Allgemeinen sowohl das Bruttoinlandsprodukt und seine zugehörigen Komponenten als auch das allgemeine Preisniveau senken, das heißt kontraktiv und deflationär wirken.


In der Corona-Pandemie waren schon ab April nachfrageseitige Reaktionenbedeutsamer als die angebotsseitigen Einschränkungen. Konjunkturstabilisierende finanzpolitische Maßnahmen schaffen in einer Rezession Vertrauen, reduzieren die Unsicherheit und stabilisieren die Inflationserwartungen. Auch angesichts des geringen geldpolitischen Spielraums gab und gibt es daher gute Gründe für eine expansive finanzpolitische Reaktion auch auf der Nachfrageseite, die dann eine Erholung beschleunigen.


Zielgenauigkeit vs. Geschwindigkeit 


In sich schnell entwickelnden Ausnahmesituationen stehen politische Entscheidungsträger bei der Gestaltung von Maßnahmen meist vor einem Konflikt zwischen Zielgenauigkeit und Reaktionsschnelligkeit aufgrund geringer oder unvollständiger Informationen über die aktuelle Lage. Eine solche Abwägung dürfte der Grund dafür sein, warum einige Maßnahmen des Konjunkturpakets nicht ausschließlich die durch die Infektionsschutzmaßnahmen beeinträchtigten Wirtschaftszweige adressieren.

Konjunkturprogramme können nicht nur aus theoretisch abgeleiteten Idealmaßnahmen mit hohen Multiplikatoren, wie bspw. investive Ausgaben im Bildungsbereich oder gezielten Transfers bestehen. Denn zum einen besteht die Gefahr, dass Mittel dann nicht zeitnah abfließen, wenn sie beispielsweise kurzfristig nicht in Gänze in einem Bereich verausgabt werden können. Zum anderen kann es bei neu eingeführten zielgenauen Maßnahmen zu praktischen Problemen bei der Umsetzung kommen, weshalb die Mittel nicht schnell genug oder gar nicht wirksam werden.


Dies verdeutlicht die wichtige Rolle von funktionierenden automatischen Stabilisatoren, die in Krisen schnell und für alle Seiten erwartbar greifen. Prominente Beispiele im deutschen Kontext sind neben der Arbeitslosenversicherung und dem veränderten Steueraufkommen auch die Kurzarbeit. Die automatischen Stabilisatoren reduzieren auch die Unsicherheit im Hinblick auf die wirtschaftspolitische Reaktion.

Das deutsche Konjunkturprogramm ist in dieser Hinsicht ein guter Mix: Es stärkt die Mechanismen der automatischen Stabilisatoren und entlastet mit Subventionen, Vermögenstransfers sowie steuerlichen Vorteilen die unmittelbar betroffenen Unternehmen. Letzteres mildert den Rückgang der Investitionen. Diese Maßnahmen wirken zeitnah und temporär und dämpfen die Auswirkungen eines „keynesianischen Angebotsschocks“, der neben Einbrüchen des Angebots auch überproportional starke Rückgänge der Nachfrage impliziert. Allerdings sind die Überbrückungshilfen bislang nur in geringem Umfang in Anspruch genommen worden. Dabei deutet einiges darauf hin, dass es praktische Hürden bei deren Abruf gab.


Nachfragestimuli der privaten Haushalte sind richtig und wichtig


Die Nachfrage der privaten Haushalte wird im Rahmen des im Juni beschlossenen Konjunkturprogramms ebenfalls angeregt, allerdings in deutlich geringerem Umfang als es bei den Unternehmen der Fall ist. Die sechsmonatige Mehrwertsteuersenkung und der Kinderbonus wirken kurzfristig und temporär.


Grundsätzlich profitieren von der zeitweisen Absenkung der Mehrwertsteuer auch Branchen, die keine oder nur geringe Auswirkungen der Corona-Krise zu spüren bekommen. Diese stellt eine schnelle, relativ einfach umzusetzende und wenig verzerrende Maßnahme dar, die der anhaltenden Vorsichtsersparnis entgegenwirkt und Haushalte motiviert, in Erwartung steigender Preise zum Jahreswechsel Anschaffungen vorzuziehen. Zudem kann auch die Nicht-Weitergabe der Mehrwertsteuersenkung stabilisierend wirken, denn sie erhöht die Gewinnmargen von Unternehmen, verhindert durch Eigenkapitalaufbau Insolvenzen und stützt die Investitionen.


Die Mehrwertsteuersenkung berücksichtigt generell auch Verteilungsaspekte, denn sie entlastet – sofern sie weitergegeben wird – einkommensschwache Haushalte in besonderem Maße, da diese eine hohe Konsumquote haben, also große Teile ihres Einkommens wieder ausgeben. In Phasen der Lockerung kann eine solche Maßnahme die wirtschaftliche Erholung deutlich beschleunigen – sie ist allerdings weniger wirksam in Zeiten, in denen die wirtschaftliche Aktivität durch Infektionsschutzmaßnahmen eingeschränkt ist.

Eine Verlängerung der Mehrwertsteuersenkung hingegen wäre nicht zweckmäßig, auch wenn diese den vom Timing ungünstigen kontraktiven Impuls, der durch den Wiederanstieg der Mehrwertsteuersätze entsteht, im nächsten Jahr verhindern würde. Denn zum einen dürfte die Mehrwertsteuersenkung ihren Hauptzweck, in der Lockerungsphase Vorzieheffekte auszulösen, bereits erfüllt haben, so dass erneute Vorzieheffekte bei einer Verlängerung nicht zu erwarten wären. Zum anderen bergen Abweichungen von angekündigten Maßnahmen die Gefahr des Glaubwürdigkeitsverlusts.


Geringverdienende Eltern und deren Kinder gehören zu der Gruppe, die nicht nur im Lockdown selbst, sondern wegen der länger andauernden Schul- und Kitaschließung in weitaus größerem Maße von der Corona-Krise betroffen waren als andere Bevölkerungsgruppen. Auch deshalb ist der Kinderbonus als rein nachfragestabilisierendes Instrument eine angemessene Unterstützung dieser Haushalte. Denn dadurch, dass er bei einkommensstärkeren Eltern mit dem Kinderfreibetrag verrechnet wird, ist er unter dem Strich ein Transfer an Haushalte mit geringen und mittleren Einkommen.


Im Großen und Ganzen hat die Wirtschaftspolitik bis in den Herbst hinein schnell und vielfach zielgerichtete Maßnahmen ergriffen, um die Folgen der Corona-Krise zu mildern. Auch wenn eine abschließende Beurteilung erst ex-post möglich sein wird, sind diese Maßnahmen vor dem Hintergrund des derzeitigen Wissensstands eine im Großen und Ganzen angemessene Reaktion auf die durch die Corona-Pandemie ausgelöste schwere Rezession. Es wird aber nicht bei diesen Schritten bleiben können. So unterstützt das Konjunkturprogramm vor allem in einer Phase eher geringen Infektionsgeschehens mit zunehmenden Lockerungen die wirtschaftliche Erholung. Durch den kürzlich beschlossenen partiellen Lockdown aufgrund der stark steigenden Neuinfektionen rücken Sofort- und Liquiditätshilfen wieder in den Vordergrund. Eine weiterführende Analyse dazu finden Sie hier.

Wie die Wirtschaftspolitik auf die zweite Infektionswelle reagieren sollte

Marius Clemens, Geraldine Dany-Knedlik, Britta Gehrke, Simon Junker, Claus Michelsen, erschienen am 4. November 2020 auf Makronom.de

Die aktuelle Entwicklung bei den Covid-19-Infektionszahlen hat weiteres Handeln erforderlich gemacht. Seit Wochenbeginn gelten wie in vielen anderen Staaten auch in Deutschland wieder verschärfte Kontaktbeschränkungen und Teil-Schließungen. Um die Folgen für Gesellschaft und Wirtschaft abzufedern, hat die Regierung parallel verschiedene Hilfsprogramme auf den Weg gebracht. Wie sind diese Maßnahmen zu bewerten – und was sollte die Wirtschaftspolitik darüber hinaus noch tun?

Um die neuen Maßnahmen zu bewerten und die Anatomie der Krise zu verstehen, war es zunächst erforderlich zu analysieren, wie die im Frühjahr und Sommer beschlossenen Programme gewirkt haben. Dies haben wir ausführlich in einem separaten Beitrag getan, den Sie hier finden.


Zurück in der Rezession


Die für den November 2020 beschlossenen Maßnahmen treffen erneut die Dienstleistungsbereiche und die Gastronomie- und Veranstaltungsbranche empfindlich. Die Industrie hingegen dürfte weniger stark in Mitleidenschaft gezogen werden als im ersten Halbjahr – nicht zuletzt, weil die Unternehmen wohl auf potentielle Lieferengpässe besser vorbereitet sind.


In unseren Szenario-Rechnungen des DIW Berlin gehen wir davon aus, dass das Bruttoinlandsprodukt im 4. Quartal um rund 19 Milliarden Euro geringer ausfallen wird als dies ohne die neuen Maßnahmen der Fall gewesen wäre. Anstatt den jüngsten Aufwärtstrend fortzusetzen, könnte die deutsche Wirtschaft zum Jahresende gegenüber dem 3. Quartal um ein Prozent schrumpfen und zurück in die Rezession fallen. Zentrale Annahme dieses Szenarios ist, dass die Pandemie durch die erneuten Restriktionen schnell und dauerhaft begrenzt wird. Gelingt dies nicht, könnte der wirtschaftliche Schaden für Deutschland deutlich größer sein und höhere Mittel in Anspruch nehmen, denn viele private Unternehmen haben nicht mehr die finanziellen Rücklagen und Widerstandsfähigkeit, die sie noch zu Beginn der ersten Infektionswelle hatten.


Kurzarbeitergeld


Die Bundesregierung hat bereits im Herbst einige Instrumente verlängert und jetzt zusätzliche Maßnahmen veranlasst, um die wirtschaftlichen Folgen abzumildern. So wurde der erleichterte Zugang zur Kurzarbeit und die Erhöhung des Kurzarbeitergeldes ab dem vierten Monat für Beschäftigte, die die Arbeitszeit um mindestens die Hälfte reduzieren, bereits bis Ende 2021 verlängert. Die Erhöhung des Kurzarbeitergeldes kann in dieser Ausnahmesituation für Geringverdiener in Sektoren mit Beschränkungen sinnvoll sein, um eine schnelle Hilfe zu gewährleisten.


Grundsätzlich sollte sich die Erstattung unter Kurzarbeit aber am System der Arbeitslosenversicherung orientieren. Die Kurzarbeit ist ein sinnvolles Instrument in zeitlich begrenzten Krisen, darf für Beschäftigte allerdings kein Dauerzustand werden. Daher ist es wichtig, längere Bezugsdauern mit Anreizen für eine Qualifizierung der Beschäftigten zu kombinieren, um auch neue Perspektiven zu eröffnen. Je länger die Corona-Krise andauert, desto wahrscheinlicher wird es, dass diese zu grundsätzlichen Umwälzungen auch am Arbeitsmarkt führen wird. Um langfristige negative Effekte zu vermeiden, ist es daher essentiell, die Dynamik am Arbeitsmarkt zu fördern, sodass insbesondere Berufseinsteigern und Arbeitslosen der Zugang zum Arbeitsmarkt nicht dauerhaft erschwert wird. Ein Instrument, das sich dafür bewährt hat und ein auch für Deutschland vielversprechender Weg sein könnte, sind temporäre Zuschüsse für Neueinstellungen.

Steuerstundungen und Verlustrücktrag


Die bis zum Jahresende auslaufenden Steuerstundungen, die im nächsten Jahr einen kontraktiven Impuls entfachen würden, sollten verlängert werden. Die beschlossenen Steuerstundungen beziehen sich auf wichtige Unternehmens- sowie Verbrauchssteuern und verschieben die entsprechenden Steuerzahlungen in das kommende Jahr. Ebenso kann der steuerliche Verlustrücktrag verlängert und ausgeweitet werden, um betroffenen Unternehmen mehr Liquidität bereitzustellen.


Der steuerliche Verlustrücktrag ermöglicht es Unternehmen, einen Teil der in diesem Jahr entstandenen Verluste mit Gewinnen des letzten Jahres bei der Abführung der Körperschaftsteuer zu verrechnen. Eine Ausweitung des Verlustrücktrag auf mindestens zwei Jahre würde insbesondere kleinere Unternehmen, die unterhalb der Verlustobergrenze wirtschaften, entlasten. Auch eine weitere Anhebung des maximal anzusetzenden Verlustbetrags kann sinnvoll sein, falls Einschränkungen umfassender werden und dies auch größere Unternehmen trifft. Diese steuerlichen Liquiditätshilfen haben den Vorteil, dass Unternehmen keine zusätzlichen Kredite benötigen und dies zudem die langfristige Finanzierungssituation des Staates nur in geringem Maße belastet. Denn Steuereinnahmen werden nur auf einen späteren Zeitpunkt verschoben bzw. mit früheren Gewinnen verrechnet.


Überbrückungshilfen und Kreditgarantien 


Die im Zuge jetzt beschlossenen außerplanmäßigen Wirtschaftshilfen in Höhe von 10 Milliarden Euro an direkt betroffene Unternehmen sind sinnvoll. Denn sie sind schnell umsetzbar und unterstützen zudem diejenigen, die durch die Pandemie hohe Verluste haben. Klein- und Kleinstunternehmen sowie Solo-Selbstständige erhalten eine einmalige Kostenerstattung in Höhe von 75 Prozents ihres Umsatzes aus dem Vorjahresmonat, der mit in Anspruch genommenem Kurzarbeitergeld und Überbrückungshilfen verrechnet wird.


Die entsprechende Unterstützung für größere Unternehmen (mehr als 50 Beschäftigte) wird im Einzelnen anhand beihilferechtlicher Vorgaben ermittelt. Solo-Selbstständige können wählen zwischen dem Umsatz des Vorjahresmonats und dem durchschnittlichen Umsatz des Jahres 2020. Diese Hilfe wird einmalig und nur an direkt vom Lockdown getroffene Unternehmen gezahlt.


Im weiteren Verlauf könnten diese sowie indirekt betroffene Unternehmen zusätzlich Überbrückungshilfen beantragen. Die Bezugsdauer der Überbrückungshilfen wurde ein weiteres Mal verlängert. Bisher (Überbrückungshilfen II) sind Klein-, Kleinstfirmen und Solo-Selbstständige anspruchsberechtigt, wenn sie entweder zwischen April und August im Durchschnitt einen Umsatzrückgang von mindestens 30 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum oder in zwei aufeinanderfolgenden Monaten des Zeitraums einen Umsatzrückgang von mindestens 50 Prozent gegenüber den entsprechenden Vorjahresmonaten erlitten haben. Für die Überbrückungshilfe III sollen die Konditionen ebenfalls vereinfacht werden. Nicht abgerufene Mittel in Höhe von mehr als 20 Milliarden Euro können noch bis Mitte 2021 fließen. Auch bei den Konditionen soll nachgebessert werden: So könnten zumindest die Zugangsvoraussetzungen weiter gelockert werden.


Eine Alternative wäre, betroffenen Selbständigen eine Unterstützung zur Deckung privater Lebenskosten auszuzahlen, die von den Finanzämtern gewährt wird. Eine solche Unterstützung wäre ebenfalls zielgenau, rasch umsetzbar und auf die individuellen Bedarfe ausgerichtet, da jeden Monat nur Selbständige mit entsprechenden Umsatzrückgängen Hilfen erhielten.

Bei den KfW-Krediten ist bisher erst rund die Hälfte der bewilligten Mittel tatsächlich abgerufen worden. Dies deutet darauf hin, dass Unternehmen aus Vorsichtsmotiven Mittel beantragt haben, um sie im Notfall zeitnah abrufen zu können. Der zweite Lockdown könnte für einige Unternahmen ein solcher Notfall sein. So könnten es in Kürze dazu kommen, dass Unternehmen vermehrt Mittel abrufen und darüber hinaus weitere Kredithilfen beantragen. Die Kreditprogramme der KfW sind zwar umfassend ausgestattet, allerdings laufen viele zum Ende des Jahres aus.


Kommunalfinanzen 


Die zweite Welle dürfte auch die Ausgabe- und Einnahmesituation des öffentlichen Sektors, speziell der Gemeinden, weiter verschlechtern. Wegbrechende Gewerbesteuereinnahmen und steigende Sozialausgaben schränken deren Investitionsspielraum erheblich ein. Der Ausbau der Infrastruktur in wichtigen Bereichen wie Digitalisierung, Bildung, Klimaschutz und Gesundheit gerät damit ins Stocken und ohnehin bestehende regionale Disparitäten könnten dadurch verstärkt werden. So sind zum einen Gemeinden betroffen, die noch immer unter einer hohen Altschuldenlast leiden. Zum anderen besteht die Gefahr, dass sich die Schuldenproblematik in jenen Gemeinden verschärft, die bspw. einen hohen Tourismusanteil an der Wertschöpfung haben und somit besonders unter der Corona-Pandemie leiden.


Um die Finanzsituation der Gemeinden zu verbessern, wurden bereits im Konjunkturprogramm die einmalige Übernahme der Verluste bei den Gewerbesteuereinnahmen im Jahr 2020 sowie bei den Einnahmen aus dem öffentlichen Personennahverkehr beschlossen. Zudem übernimmt der Bund auch langfristig einen Teil der Sozialausgaben über das Jahr 2020 hinaus. Nicht zuletzt wegen den ökonomischen Auswirkungen der zweiten Welle und dem zweiten Lockdown erscheint eine Verlustübernahme bei der Gemeindesteuer sowie beim öffentlichen Personennahverkehr durch den Bund und die Länder auch im Jahr 2021 notwendig. Darüber hinaus sollte auch die Altschuldenproblematik angegangen werden, um die Zinslast zu senken und damit den mehrfach betroffenen Gemeinden Freiräume für Investitionen zu schaffen.


Konjunkturprogramm: kurzfristig vs. mittel- und langfristig


Ein wesentlicher Kritikpunkt vergangener Konjunkturprogramme war, dass sie im Zielkonflikt mit mittel- bis langfristigen Zielen der Wachstumspolitik standen. Im Konjunkturprogramm 2020 wurde explizit ein Zukunftspaket in Höhe von rund 50 Milliarden Euro berücksichtigt, das investive Ausgaben in den Bereichen Digitalisierung, Klimawandel, Gesundheit und Bildung vorsieht und mittelfristig den strukturellen Wandel erleichtern und die Produktivität erhöhen sollte.


Diese öffentlichen investiven Maßnahmen schaffen bereits kurzfristig unternehmerische Planungssicherheit, stabilisieren damit wichtige Sektoren der deutschen Wirtschaft und dürften damit auch heute schon nachfragestabilisierend wirken. Ein Großteil dieser Mittel wird in Form von Investitionszuschüssen ab dem Jahr 2021 abgerufen werden können. Sie dürften damit auch die negativen Auswirkungen einer zweiten Welle im Jahr 2021 abfedern.


Im Hinblick auf das mittelfristige Ziel sind die Ausgaben im Zukunftspaket, insbesondere in den Bereichen Klimapolitik, Gesundheit und Bildung aber nur ein erster Schritt. Die Ziele der Dekarbonisierung sind auch trotz weniger CO2-Austoss in der Krise nicht obsolet geworden. Insbesondere der personelle Engpass im Bildungs- und Gesundheitsbereich, aber auch in der zugehörigen öffentlichen Verwaltung wird durch die Pandemie verschärft.


So kann der Ausbau der Angebote für Kita- und Schulkinder nur dann gelingen, wenn ausreichend pädagogische Fachkräfte zur Verfügung stehen. Schätzungen lassen allerdings vermuten, dass unabhängig von der Pandemie bundesweit bis zum Jahr 2025 mehr als 300.000 Erzieherinnen und Erzieher fehlen werden. Zwar sind vom Bund rund 3 Milliarden Euro für bauliche Maßnahmen bei Schulen und Kitas sowie insgesamt knapp 10 Milliarden für eine bessere Ausstattung von Krankenhäusern und medizinische Reserven vorgesehen, dies kann aber nicht die personellen Engpässe beheben. Es muss also auch in die Aus- und Weiterbildung von Fachkräften investiert werden. Dies ist mit Blick auf das sich im Zuge des demografischen Wandels abschwächende gesamtwirtschaftliche Arbeitsangebot auch langfristig von besonderer Bedeutung.


There is no free lunch – Finanzierungssituation aber weiterhin günstig

Die hier vorgeschlagenen Maßnahmen gehen mit zusätzlichen Kosten einher, allerdings sind viele Mittel bereits bereitgestellt. Eine zusätzliche Nettokreditaufnahme dürfte sich beispielsweise für die Überbrückungshilfen weitgehend in Grenzen halten. Der gesamtstaatliche Finanzierungssaldo dürfte Ende des Jahres 2020 bei rund -180 Milliarden liegen, unter der Annahme, dass ein Teil der bereitstehenden Hilfsmittel des Bundes und der Länder nicht abgerufen werden. Die Nettokreditaufnahme (NKA) allein des Bundes liegt im Jahr 2020 bei fast 220 Milliarden Euro, hinzu kommt die NKA der Bundesländer. Zusätzliche Einnahmeausfälle und höhere Ausgaben, u.a. durch die vorgeschlagene Verlängerung der Steuerstundungen, eine Ausweitung des steuerlichen Verlustrücktrags oder höhere Zuschüsse an Kleinstunternehmer und Arbeitnehmer, müssten hingegen zusätzlich durch Schulden finanziert werden.


Die finanzpolitische Situation in Deutschland bliebe jedoch weiterhin günstig. Geht man davon aus, dass die von Bund und Ländern bereitstehenden Zuschüsse und Kredite vollständig in Anspruch genommen werden, käme man derzeit auf eine Staatsschuldenquote von etwas mehr als 75 Prozent. Das sind rund 5 Prozentpunkte weniger als in der Finanzkrise. Da alle Maßnahmen temporärer Natur sind, dürfte sich die Staatsschuldenquote in den Folgejahren durch das steigende Bruttoinlandsprodukt wieder reduzieren.


Die Rückkehr zu einer Schuldenbremse, welche Form sie auch immer annimmt, ist dabei durchaus sinnvoll. Die Rückführung der Staatsschuldenquote auf das Zielniveau sollte aber nicht durch eine Reduktion investiver (oder Humanpotential-)Ausgaben, die insbesondere zukünftige Generationen belasten dürfte, sondern über andere Wege finanziert werden. Dies könnte beispielsweise – ähnlich wie in den Nachkriegsjahren – durch eine Vermögensabgabe oder einen Lastenausgleichsfonds erfolgen.

Neue Lebensgewohnheiten

Claus Michelsen, erschienen am 3. November 2020 im Tagesspiegel

Der nicht erledigte Abwasch, Malereien der Sprösslinge an der Wand oder das Kellerverließ – die vielen Videokonferenzen in der Corona-Zeit eröffnen ungeahnte Einblicke in die privaten Räumlichkeiten vieler KollegInnen und GeschäftspartnerInnen. Die eigenen vier Wände sind in den vergangenen Monaten für zahlreiche Beschäftigte gewollt oder ungewollt zum Arbeitsplatz geworden.

Sichtbar wird dies in Zahlen von Google: Der Internetriese zeichnet auf Grundlage seiner Standortermittlung die Mobilitätsmuster und Aufenthaltsorte vieler Menschen auf. Seit Ausbruch der Pandemie ist die Zahl der Aufenthalte am Arbeitsort um rund ein Viertel zurückgegangen, S- und U-Bahn-Stationen werden weitaus seltener frequentiert – in Spitzenzeiten um rund 40 Prozent. Spiegelbildlich stieg die verbrachte Zeit an den Wohnorten oder in den umliegenden Parks kräftig an. Das ist auch gut so, denn – das zeigen Studien, unter anderem des DIW Berlin – das Pendelgeschehen hat im Frühjahr maßgeblich dazu beigetragen, dass sich das Virus ausbreiten konnte.

Die Coronakrise hat also die Lebens- und Arbeitsgewohnheiten innerhalb kürzester Zeit auf den Kopf gestellt. Immerhin gut 35 Prozent der Beschäftigten arbeiten aktuell von zu Hause aus, zeigt die Sonderbefragung des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) am DIW Berlin. Knapp 60 Prozent sind dabei genauso produktiv oder gar produktiver als am Arbeitsplatz im Büro. Für Unternehmen zumindest – so vernimmt man vereinzelt aus der Zeitung – ist die neue Flexibilität also eine Chance. Vordergründig, weil Büroflächen nicht mehr in der bisherigen Größe benötigt werden und so Kosten reduziert werden können. Zukünftig wahrscheinlich auch deshalb, weil der demografische Wandel ohnehin zu mehr Flexibilität bei den Arbeitszeiten und -orten zwingt.

In den kommenden Jahren wird die Erwerbsbevölkerung in Deutschland deutlich sinken. Das Statistische Bundesamt projiziert, dass die Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter bis in das Jahr 2035 um vier bis sechs Millionen Menschen zurückgehen wird, also um rund zehn Prozent. Ein Ausweg wäre, mehr Menschen das Erwerbsleben zu ermöglichen, die bislang nicht am Arbeitsmarkt aktiv waren. Befragungen zeigen, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie mit flexiblen Arbeitszeitmodellen deutlich besser gelingt. Insofern dürfte das Homeoffice in den kommenden Jahren ohnehin deutlich intensiver genutzt werden, auch ohne Corona-Pandemie.

Schon jetzt suchen Deutsche größere Wohnungen

Dies könnte Konsequenzen auch für den Wohnungsmarkt haben: Der Küchentisch als provisorisches Büro wird keine permanente Lösung sein. Haushalte werden größere und andere Wohnflächen nachfragen. Auf den einschlägigen Immobilienplattformen stiegen seit dem Frühjahr die Suchanfragen für Eigenheime in den Speckgürteln erheblich. Der Marktführer Immobilienscout24 berichtet von einer Zunahme von 50 Prozent gegenüber dem Jahr 2019 – neben dem Bedürfnis nach Grün und Freiraum könnten sich darin auch die Erwartungen geringerer Pendelbewegungen an die zentralen Orte niederschlagen. Fällt der Weg ins Büro weg, bedeutet dies auch erheblich weniger Nachteile, wenn man in der Peripherie wohnt. Immerhin pendeln ArbeitnehmerInnen in Deutschland im Durchschnitt täglich 40 Minuten zur Arbeit, in Ballungszentren häufig noch deutlich länger.

Allerdings wird dies nicht zu plötzlich verödenden Großstädten führen. Umzüge sind kostspielig. Nicht nur, weil Billy dann ein oder zwei neue Zwillingsbrüder braucht, sondern vielmehr, weil das soziale Umfeld meist an den Wohnort geknüpft ist. Schule, FreundInnen und liebgewonnene Gewohnheiten müssen bei einem Ortswechsel zurückgelassen werden. Und so ziehen Haushalte im Durchschnitt dann auch nur alle elf Jahre in eine neue Wohnung, meist, weil der Job oder die familiäre Situation sich ändern. Es ist also wahrscheinlicher, dass sich Haushalte zunächst in den bestehenden vier Wänden neu einrichten und erst bei grundlegenderen Einschnitten nach Alternativen und für das Homeoffice besser geeigneten Räumlichkeiten umsehen werden.

Es wird einen schrittweisen Wandel geben

Perspektivisch wird dies dann die Innenstädte entlasten, wenn mehr Menschen das Umland als Wohnort bevorzugen. Andererseits dürfte die Wohnfläche pro Kopf steigen und auch die Stadtbevölkerung im Durchschnitt größere Wohnungen suchen. Bereits seit der Jahrtausendwende hat die durchschnittliche Wohnfläche pro Kopf um zehn Prozent auf jetzt rund 45 Quadratmeter zugelegt. Auf dem Land gönnen sich Haushalte weitaus mehr Freiraum – dort liegt der Wohnflächenverbrauch bei gut 52 Quadratmetern pro Kopf, in Städten sind es nur gut 40 Quadratmeter.

Die Coronakrise wird die Wohnungsmärkte also nicht auf den Kopf stellen, aber doch zu einem schrittweisen Wandel führen. Unternehmen werden diesen aus Eigeninteresse unterstützen – die Politik sollte den Prozess aber ebenfalls fördern. Ganz kurzfristig, weil das Homeoffice ein effektiver Gesundheitsschutz ist. Mittelfristig, weil die Erwerbsbevölkerung sinkt und flexible Arbeitsmodelle das gesamtwirtschaftliche Wachstumspotenzial erhöhen.

Ein erster Schritt wäre, die steuerliche Absetzbarkeit des Homeoffice wieder zu ermöglichen. Ein zweiter Schritt, die Voraussetzungen für häusliche Arbeitsplätze und die Anforderungen auf ihre Praxistauglichkeit hin zu überprüfen. Ebenfalls könnte der Wandel dahingehend gestützt werden, dass Unternehmen ihre Investitionen in digitale Betriebsstrukturen steuerlich schneller abschreiben könnten. Zu guter Letzt sind es auch öffentliche Investitionen in die Infrastruktur, die ohnehin notwendig sind, aber noch dringlicher werden: Gut ausgebaute Verkehrswege sind neben schnellen Datenautobahnen die Voraussetzung, dass dezentral organisierte und flexible Arbeitsweisen funktionieren können.

Mehr Zukunft, bitte! 

Marcel Fratzscher, Martin Gornig, Claudia Kemfert, Claus Michelsen erschienen am 5. Juni 2020 in der Süddeutschen Zeitung

Das von der Koalition beschlossene Konjunkturprogramm enthält viele sinnvolle Elemente. Anders als von vielen befürchtet, haben sich mächtige Lobbyverbände nicht durchgesetzt. Zentrale Punkte wie die befristete Senkung der Mehrwertsteuer oder der Familienbonus zeigen den Willen, den Konsum auf breiter Front zu beleben. Das Volumen ist einzigartig in der bundesdeutschen Geschichte. Es ist der dramatischen Situation angemessen und lässt hoffen, dass der Neustart der Wirtschaft gelingt. Unzureichend ist das Konjunkturpaket allerdings mit Blick auf die mittel- bis langfristige Neuausrichtung der deutschen Wirtschaft.

Es fehlt ein überzeugendes Konzept zu einer Transformation hin zu Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Hier bleibt das Paket insgesamt Stückwerk. Dies wiegt umso schwerer, als unvermeidlich die Staatsverschuldung anwachsen muss. Künftigen Steuerzahlern muss eine wettbewerbsfähige Wirtschaft hinterlassen werden, die einen Abbau der zusätzlichen Schulden erlaubt. In seiner jetzigen Form setzt das Programm zu einseitig auf Konsum und zu wenig auf Investitionen. Daher kann das jetzt vorgestellte Programm auch nur Startpunkt grundlegender wirtschaftlicher Reformen und Umstrukturierungen sein.

Es ist richtig, dass Unternehmen entlastet werden, um einen Anstieg der Insolvenzen zu begrenzen und eine exzessive Verschuldung von Unternehmen zu vermeiden. Dass besonders betroffene Branchen wie das Gastgewerbe und die Kulturbetriebe im Fokus stehen, ist zu begrüßen. Die befristete Mehrwertsteuersenkung wird zudem die Nachfrage nach langlebigen Konsumgütern beleben. Davon wird auch die Schlüsselbranche Automobilindustrie profitieren, sie muss schnell wieder auf die Beine kommen. Es wäre fatal gewesen, mit einem Aufputschmittel wie der Kaufprämie für traditionelle Technologien die künftige Wettbewerbsfähigkeit aufs Spiel zu setzen. Der Autobranche ist mehr geholfen, wenn der dringend notwendige Strukturwandel hin zu einer nachhaltigen Mobilitätswende inklusive Elektromobilität durch gezielte Förderungen ermöglicht wird: durch den Ausbau der Ladeinfrastruktur und die Förderung der nachhaltigen Elektromobilität auch in den Städten. Sicherlich wäre es auch eine Option gewesen, über weitere konkrete Kaufprämien für digitale oder klimaschonende Produkte oder Gutscheine zielgenauer in den strukturellen Wandel der Nachfrage einzugreifen. Aber wer sollte auf die Schnelle die entsprechenden Zuordnungen objektiv und nachvollziehbar vornehmen? Der Vorteil des gewählten Weges der Konsumstimulierung über die Mehrwertsteuersenkung und den Kinderbonus liegt in seiner unkomplizierten und raschen Umsetzbarkeit, was auch verteilungspolitisch ausgewogen ist. Wichtig ist das Signal, dass es wieder aufwärts geht.

Ein zentrales Problem aber wird kaum adressiert: die private Investitionsschwäche. Allein die Ausrüstungsinvestitionen sind schon im ersten Quartal im Vorjahresvergleich um fast zehn Prozent gesunken. Dies ist auch deshalb problematisch, weil Digitalisierung und Klimaschutz gerade zusätzliche Investitionsanstrengungen erfordern, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft mittel- und langfristig zu sichern. Ein erprobtes und unter Ökonomen auf breiten Konsens stoßendes Instrument zur konjunkturellen Belebung der Investitionsnachfrage ist eine Verbesserung der Abschreibungsbedingungen. Das Konjunkturpaket sieht eine befristete Zulassung degressiver Abschreibungen vor. Solche steuerlichen Anreize laufen allerdings ins Leere, wenn Unternehmen gar keine Aussicht auf Gewinne haben.

Ein Investitionsfonds für mehr Geld in Digitalisierung und Klimaschutz

Die private Investitionsschwäche kann nur überwunden werden, wenn auch mittelfristige Marktrisiken durch eine gezielte staatliche Beteiligung vermindert werden. Die Einrichtung eines Investitionsfonds wäre ein probates Mittel, mit dem gezielte Investitionsförderprogramme und -partnerschaften von Unternehmen und Staat entwickelt werden können. Ähnlich wie bei der Förderung der Batteriezellenproduktion sollten dabei EU-weite Partnerschaften gesucht werden. Die Bundesregierung sieht ein umfangreiches Programm vor, um öffentliche Zukunftsinvestitionen anstoßen - in das Gesundheitssystem, für Klimaschutz und digitale Netze. Hierbei sollte die Politik die notwendige Transformation hin zu Digitalisierung und Nachhaltigkeit noch bewusster und gezielter unterstützen, indem der Ausbau der erneuerbarer Energien schneller vorangeht, mehr Geld für die energetische Gebäudesanierung sowie "Solarprämien" und "Umstiegsprämien" für eine echte Verkehrswende bereit gestellt werden.

Leider hatte die Koalition auch nicht den Mut, sich zu einer Entschuldung der finanzschwachen Kommunen durchzuringen. Mit der Ausweitung der Übernahme der Kosten der Unterkunft durch den Bund ist allerdings ein wichtiger Schritt getan, um Verwerfungen zwischen wirtschaftsschwachen und -starken Gemeinden künftig zu verringern. Zwar hilft es den Kommunen sehr, dass die erwarteten Ausfälle der Gewerbesteuer zu wesentlichen Teilen kompensiert werden sollen. Letztlich aber stehen den Gemeinden derzeit nicht mehr, sondern eher weniger Mittel für Investitionen zur Verfügung. Um ihre Zukunftsfähigkeit zu sichern, muss gerade jetzt alles getan werden, den kommunalen Investitionsstau aufzulösen. Unabdingbar hierfür ist ein kommunaler Investitionsfonds.

Zudem muss die Bundesregierung ihr mit Frankreich vorgeschlagenes europäisches Wiederaufbauprogramm mit aller Entschiedenheit umsetzen. Die deutsche Wirtschaft alleine wird den Neustart nicht erfolgreich bewerkstelligen, wenn nicht ganz Europa dies schafft. Finanzielle Transfers aus Deutschland zu den schwächsten und von der Pandemie am stärksten betroffenen Ländern Europas sind nicht nur solidarisch, sondern auch im Eigeninteresse Deutschlands. Die für Deutschland zentralen Investitionsgüterindustrien sind auf die Absatzmärkte in Europa unabdingbar angewiesen.

Die Bundesregierung braucht weiter Mut, einen klaren Kompass und Durchsetzungsvermögen, um ein überzeugendes Konjunktur- und Wachstumsprogramm umzusetzen. Kaum ein Staat ist so solide aufgestellt und kann sich zu negativen Zinsen finanzieren. Die Politik hat also alle Möglichkeiten, das Richtige zu tun, und damit auch die Chance, wichtige Transformationsprozesse anzustoßen. Das vorgeschlagene Paket ist ein guter Start, weitere Schritte sollten noch zukunftsorientierter werden.

Wie der Wohnungsmangel behoben werden kann

Marcel Fratzscher, Claus Michelsen erschienen am 28. Februar 2020 in der ZEIT

Die Debatte um die Wohnungsmarktentwicklung hat – ausgelöst durch starke Mietsteigerungen – erheblich an Fahrt gewonnen. Gerade in Berlin wird die Frage nach dem Wohnungsmarkt mehr und mehr zum Klassenkampf: Auf der einen Seite demonstrieren regelmäßig Tausende Menschen gegen den "Mietenwahnsinn", die sich mit Forderungen wie mehr sozialem Wohnungsbau, der Enteignung großer Wohnungsbaugesellschaften, Spekulationsverboten und Mietendeckel sehr gut anfreunden können. Auf der anderen Seite stehen internationale Investoren, die in Berlin Geld anlegen, Neubauprojekte anschieben und Flächen entwickeln wollen. Nicht selten hört man aus diesen Kreisen Klagen über die überbordende Bürokratie, fehlendes Bauland und das allgemein investorenfeindliche Umfeld, gerade in Berlin. Beide Seiten haben in einigen ihrer Punkte recht, in ihrer einseitigen Betrachtungsweise jedoch unrecht: Eine kluge Wohnungsbaupolitik muss und kann die Brücke zwischen beiden Positionen schlagen.

Ähnlich hitzig wird die Debatte im Bundestag geführt. Auf der einen Seite stehen konservative VertreterInnen mit ihrer Forderung nach "bauen, bauen, bauen!" – anders sei der Wohnungsknappheit nicht zu begegnen. Gefordert werden weitreichende Deregulierungen und Vereinfachungen des Baurechts, die beschleunigte Ausweisung von Bauflächen, die steuerliche Förderung des Mietwohnungsbaus sowie eine ablehnende Haltung gegenüber sozialem Wohnungsbau und Mietregulierungen – derartige Eingriffe wären Gift für das Investitionsklima. Immerhin werden jährlich 250 Milliarden Euro für die Sanierung und den Neubau von Wohnungen investiert.

Auf der anderen Seite stehen soziale Argumente, die vor allem die kurzfristigen Folgen für die Bevölkerung in den Blick nehmen. Der Anstieg der Wohnkosten führe zu sozialen Härten. Haushalte würden zu stark belastet und an den Stadtrand verdrängt. Gefordert werden in erster Linie strengere Mieterschutzgesetze: Regelungen wie die Mietpreisbremse, der Mietendeckel, Zweckentfremdungsverbote und Baugebote auf brachliegenden Flächen, um die Spekulation mit Bauland zu verhindern. Zudem wird der Wunsch laut, öffentliche, zumindest aber gemeinwohlorientierte Investoren wie Wohnungsbaugenossenschaften zu stärken.

Die skizzierten Positionen scheinen zunächst sehr unversöhnlich. Allerdings sind sie nüchtern betrachtet weniger widersprüchlich. Klar ist, dass Wohnungsmarktzyklen erhebliche Auswirkungen auf die Teilhabe ganzer Bevölkerungsschichten am gesellschaftlichen Leben haben. Ähnlich wie bei einem "Schweinezyklus" werden Wohnungen erst mit großer zeitlicher Verzögerung neu am Markt angeboten. Steigt die Nachfrage stark an, schießen die Mieten erheblich in die Höhe und über das Maß hinaus, das sich langfristig einstellen würde. Da die Folgen dieser Entwicklungen weit über die reine Zuteilung von Wohnraum hinausgehen, ist es auch eine sozialpolitische Aufgabe, die zyklischen Schwankungen auf dem Wohnungsmarkt zu stabilisieren.

Eine zentrale Aufgabe der öffentlichen Hand ist es, für hinreichend große Flexibilität auf der Angebotsseite zu sorgen: Kommunen müssen vorausschauend Bauflächen bereithalten, entwickeln und dem Wohnungsmarkt zur Verfügung stellen. Baurechtliche Anforderungen und Genehmigungsprozesse müssen so gestaltet sein, dass auf Nachfragetrends zeitnah reagiert werden kann. Hierzu gehört neben einheitlichen Baustandards und vereinfachten Genehmigungsverfahren auch eine entsprechende personelle Ausstattung in den Bauämtern. In all diesen Bereichen gibt es in Deutschland Nachholbedarf. Die Hausaufgaben für die Politik sind klar: Bauen attraktiver zu machen und Prozesse zu beschleunigen. Ihre Wirkung entfalten entsprechende Änderungen aber erst mittelfristig.

Aber selbst wenn die Flexibilität seitens der Angebote relativ hoch wäre, dürfte es zu erheblichen Preisschwankungen kommen, wenn ein unerwartet starker Zuzug in bestimmte Regionen stattfindet. Davon profitieren VermieterInnen, ohne dass sie an den Kosten der Entwicklung beteiligt werden. Diese Gewinne könnte man einfach besteuern und die Einnahmen für neue Wohnungsbauprojekte verwenden. Die Hauszinssteuer in der Weimarer Republik beispielsweise wurde verwendet, um experimentelle Wohnkonzepte wie die des Bauhaus zu finanzieren. In solchen Situationen können aber auch regulierende Eingriffe in den Wohnungsmarkt sinnvoll sein, weil sie kurzfristige Preisübertreibungen unterbinden. Allerdings sind sie nur dann eine Option, wenn sie die Attraktivität von Neubauinvestitionen nicht schmälern.

Gefragt sind ausgewogene Interventionen, die einerseits zyklische Preisspitzen entschärfen und andererseits Investitionen attraktiv halten. Die Mietpreisbremse ist dafür ein gutes Beispiel. Sie gilt für Bestandswohnungen und nicht für neu errichtete Gebäude. Sollten in regulierten Wohnungen Modernisierungen anstehen, dann sind entsprechende Mietsteigerungen möglich. Und auch den steigenden Kosten der Instandhaltung wird Rechnung getragen, da die Mietobergrenze nicht ein Preisniveau festschreibt, sondern an die Entwicklung der ortsüblichen Vergleichsmiete geknüpft ist. Die Evaluierung der Mietpreisbremse hat gezeigt, dass das Instrument sehr wohl in der Lage ist, die Mietenentwicklung leicht zu dämpfen, und gleichzeitig Investitionen begünstigt. Wissenschaftliche Studienkommen zu dem Ergebnis, dass mit Einführung der Mietpreisbremse die Attraktivität von Neubauinvestitionen tendenziell zugenommen hat und die Haushalte in den unteren Einkommensgruppen tendenziell von der Regulierung profitieren. Regulierungen sind also nicht per se nicht schädlich. Im Gegenteil, sie können im Mix einzelner Maßnahmen einen Beitrag zur Lösung des Wohnungsmarktproblems leisten.

Ebenso falsch wie eine grundlegende Ablehnung regulierender Eingriffe ist es, sich allein auf diese Politik zu verlassen. Auch wenn neu gebaut wird und Mieten reguliert sind, stellt sich für viele Haushalte mit geringen Einkommen nach wie vor die grundlegende Frage des Marktzugangs. Ausländisch klingende Nachnamen, untypische familiäre Konstellationen oder prekäre Arbeitsverhältnisse: Haushalte, die nicht dem Ideal oder schlimmer noch der Norm entsprechen, haben es ungleich schwerer, eine Wohnung zu finden. Die Wohnraumversorgung auch für diese Bevölkerungsgruppen zu sichern ist eine wichtige staatliche Aufgabe. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich der Staat allerdings massiv aus dem sozialen Wohnungsbau zurückgezogen, was sich immer deutlicher als Fehler erweist. Zusätzliches Wohnraumangebot für Personen mit Problemen im Marktzugang muss aber nicht zwingend allein staatlich organisiert werden. Neben zusätzlichen öffentlichen Investitionen können auch gemeinwohlorientierte Investoren eine stabilisierende Rolle ausfüllen, wie beispielsweise Wohnungsbaugenossenschaften. Wichtig ist, dass Kommunen diese Aspekte in ihren Planungs- und Genehmigungsprozessen berücksichtigen.

Alles in allem gibt es nicht die eine Patentlösung für die aktuellen Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt. Der Mix aus regulierenden Eingriffen wie Mietpreisbremse und sozialem Wohnungsbau und langfristig investitionsbelebenden Maßnahmen macht‘s. Viel wäre gewonnen, wenn sich dies auch in der politischen Debatte niederschlagen würde und die teils hysterisch-konfrontative Aufregung einer nüchterneren, pragmatischeren Betrachtung weichen würde. Die Mieter- und die Investorenseite würden es der Politik gleichermaßen danken. Die richtigen Lösungen liegen auf der Hand, es mangelt aber offensichtlich am politischen Durchsetzungswillen und der Unterstützung der Zivilgesellschaft.

Hohe Mieten, hohe Ungleichheit

Marcel Fratzscher, Claus Michelsen erschienen am 21. Februar 2020 in der ZEIT

Die rasant steigenden Mieten in Deutschland werden neben dem Klimaschutz und der Gestaltung der Sozialsysteme eines der wichtigsten Politikthemen in den kommenden Jahren sein. Bereits seit längerer Zeit und von vielen weitgehend unbemerkt hat sich der Zugang zum Wohnungsmarkt und die Wohnkostenbelastung in den unteren Einkommensschichten erheblich verschlechtert. Vorliegende Zahlen zeigen eine dramatische Entwicklung.

In den vergangenen zehn Jahren haben der Aufbau von Jobs und die teilweise deutlichen Lohnanstiege den starken Anstieg der Wohnkosten vielfach noch kompensieren können. Doch die exzellente konjunkturelle Lage hat sich inzwischen deutlich eingetrübt. Da die gute Arbeitsmarktentwicklung davon wohl nicht unberührt bleiben wird, dürfte die Wohnkostenbelastung für breitere Schichten der Bevölkerung an Dringlichkeit gewinnen.

Eine wissenschaftliche Studie zeigt deutlich, wie stark seit den Neunzigerjahren die Zunahme der Wohnkosten zum Anstieg der Ungleichheit im Lebensstandard beigetragen hat. Die aktuellsten Daten der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe aus dem Jahr 2013 zeigen, dass für Haushalte, die zu den 20 Prozent mit den geringsten Einkommen zählen – dem sogenannten ersten Quintil –, die Wohnkosten zwischen 1993 und 2013 um mehr als ein Drittel gestiegen sind. Für Menschen im zweiten Quintil haben die Wohnkosten um ein Viertel zugelegt.

Steigende Wohnkosten bedeuten weniger Geld für Konsum

Interessant ist, dass die Ausgaben für Wohnen der oberen 20 Prozent in diesem Zeitraum sogar um knapp 10 Prozent gefallen sind. Dies liegt vor allem daran, dass in diesen Einkommensschichten das Wohneigentum weit verbreitet ist: Niedrige Zinsen und in den Nullerjahren günstige Immobilienpreise haben die Kosten sinken lassen.

Natürlich haben sich auch die Einkommen in diesem Zeitraum verändert. Allerdings sind die verfügbaren Einkommen für die 40 Prozent mit den geringsten Einkommen zwischen 1993 und 2013 gefallen. Zwar hat seither die Einführung des Mindestlohns und die gute Lage am Arbeitsmarkt auch bei Geringverdienenden vielfach deutliche Einkommenszuwächse ermöglicht. Gleichzeitig sind jedoch auch die Mieten besonders stark gestiegen – gerade in den Ballungszentren in der Regel deutlich stärker als die Einkommen.

Dies bedeutet, dass, während im Jahr 1993 die ärmsten 20 Prozent der Deutschen 27 Prozent ihres verfügbaren Einkommens für Wohnen ausgaben, es zwanzig Jahre später schon 39 Prozent waren. Auch für das zweite Quintil stiegen die Wohnkosten deutlich, von 20 auf 25 Prozent des Einkommens in diesem Zeitraum. Für die einkommensstärksten 20 Prozent ist dieser Anteil von 16 auf 14 Prozent gefallen.

Da die Arbeitseinkommen und Löhne der unteren 40 Prozent seit den Neunzigerjahren nicht mit dem Anstieg der Wohnkosten mithalten konnten, sank der Anteil der sonstigen Konsumausgaben (ohne Wohnkosten) der einkommensschwächsten 20 Prozent der Deutschen von 72 Prozent im Jahr 1993 auf 63 Prozent im Jahr 2013.

Aber auch für die Mittelschicht hat das verfügbare Einkommen für andere Ausgaben als das Wohnen in diesem Zeitraum abgenommen. Ein großer Teil der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland hat also in diesem Zeitraum keinen Anstieg, sondern ein Schrumpfen des verfügbaren Einkommens für die Grundbedürfnisse und zum Leben erfahren. Versteht man diese Ausgaben auch als die Möglichkeit zur gesellschaftlichen Teilhabe, dann haben sich die Chancen vieler in dieser Hinsicht verschlechtert.

Es ist Vorsicht geboten mit solchen Vergleichen über die Zeit, denn Menschen verändern sich, räumlich wie auch in Bezug auf Einkommen und Familienstand. Ein Teil des Anstiegs der Wohnkosten kommt nicht durch höhere Mieten zustande, sondern durch den Umzug vom Land in die Stadt oder durch die Tatsache, dass heute mehr Menschen in Singlehaushalten leben. Doch diese Einschränkungen, so zeigt die Studie, ändern nichts grundlegend an der Tatsache, dass viele Menschen in Deutschland heute weniger Geld für ihren Lebensunterhalt haben als noch vor 25 Jahren.

Diese Entwicklungen haben wichtige Implikationen für die private Vorsorge und die Einkommensungleichheit. So bedeutet der starke Anstieg der Ausgaben fürs Wohnen nicht nur, dass die 40 Prozent der einkommensschwächsten Haushalte weniger Geld für andere Konsumausgaben haben, sondern auch, dass ihre Möglichkeit zum Sparen und Diese Entwicklungen haben wichtige Implikationen für die private Vorsorge und die Einkommensungleichheit. So bedeutet der starke Anstieg der Ausgaben fürs Wohnen nicht nur, dass die 40 Prozent der einkommensschwächsten Haushalte weniger Geld für andere Konsumausgaben haben, sondern auch, dass ihre Möglichkeit zum Sparen und somit zur privaten Vorsorge abgenommen hat. Konnten die unteren 20 Prozent in den Neunziger- und Nullerjahren zumindest ein wenig auf die hohe Kante legen, so war die Sparquote für sie 2013 negativ, das heißt, sie mussten sich monatlich verschulden, um ihren Lebensstandard zu halten.

Diese Entwicklungen bedeuten auch, dass die Ungleichheit der verfügbaren Einkommen nochmals stärker gestiegen ist, wenn man von Wohnkosten absieht und sich nur auf andere Konsumausgaben konzentriert. In anderen Worten, die Ungleichheit in den Lebensstandards ist in den letzten 25 Jahren wohl noch stärker angestiegen, als die Ungleichheit der verfügbaren Einkommen dies suggeriert.

Der starke Anstieg der Mieten ist also nicht nur ein zentraler Grund für die steigende Ungleichheit der Lebensstandards, sondern er bedeutet für viele der einkommensschwächsten Bürgerinnen und Bürger, dass ihr verfügbares Einkommen für das Bestreiten ihres Lebensunterhalts ohne Wohnkosten zwischen 1993 und 2013 gesunken ist. Dies ist eine dramatische Entwicklung, die sich gerade in den vergangenen Jahren nochmals verschärft hat, was sich inzwischen auch in der politischen Debatte niederschlägt. Parteiübergreifend wird über Wege aus der Misere gestritten. Mangels schneller Lösungen werden diese Debatten das Land noch einige Jahre begleiten. Welche Handlungsoptionen die Politik hat und wie diese Instrumente wirken, wird Thema der nächsten Kolumne sein.  

Investieren, investieren, investieren

Marcel Fratzscher, Claus Michelsen, Christian Odendahl, erschienen am 13. August 2019 in der Süddeutschen Zeitung

Die deutsche Wirtschaft befindet sich wohl schon in einer Rezession. Denn die Weltwirtschaft, von der Deutschland als Exportland so abhängig ist, schwächelt bedenklich: Nachdem die Steuersenkungen von Trump verpufft sind und die chinesische Wirtschaft nicht mehr so stark wächst wie in der Vergangenheit, verunsichern internationale Konflikte wie der Handelsstreit zwischen Washington und Peking sowie der Brexit die Unternehmen. Dies ist erst mal kein Grund zur Panik, denn die deutsche Wirtschaft ist strukturell stark und hat das Potenzial für weitere wirtschaftlich gute Jahre. Allerdings braucht Deutschland hierfür einen Kurswechsel der Wirtschaftspolitik – mit einem langfristig angelegten Investitionsprogramm des Staates.

Dem zunehmend unsicheren Umfeld konnte die deutsche Wirtschaft bislang trotzen. Da ist das Arbeitsmarktwunder der vergangenen zehn Jahre, das zur höchsten jemals in Deutschland verzeichneten Zahl an Erwerbstätigen geführt hat. Statt Arbeitslosigkeit gibt es zunehmend Fachkräftemangel, mit mehr als einer Million offener Stellen. Diese Entwicklung stützt sich maßgeblich auf die deutschen Exportunternehmen, die äußerst wettbewerbsfähig und profitabel sind. Ergebnis der positiven Entwicklung der letzten Jahre ist die äußerst erfreuliche finanzielle Situation des Staates, mit Überschüssen von in diesem Jahr rund 40 Milliarden Euro.

Doch es gibt drei zentrale Schwächen, die einer erfolgreichen Zukunft Deutschlands entgegenstehen. Erstens gibt es einen zunehmenden Fachkräftemangel – die Generation der Babyboomer geht nach und nach in Rente. Umso existenzieller ist nun eine exzellent ausgebildete Arbeitsbevölkerung, aus Deutschen und Zugewanderten. Zweitens bekommen deutsche Firmen zunehmend aggressive Konkurrenz aus Asien, insbesondere in den wichtigen Zukunftssektoren wie künstlicher Intelligenz oder digitalen Dienstleistungen. Die deutschen Un-ternehmen haben zwar hohe Ersparnisse – sie halten sich mit Investitionen aber deutlich zurück. Mehr Mut, in die Zukunft zu investieren, ist daher nötig, um die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen zu erhalten. Und drittens hat der Staat zwar solide gewirtschaftet, aber leider auf Kosten der öffentlichen Investitionen. Die digitale Infrastruktur Deutschlands rangiert unter ferner liefen, öffentliche Planungskapazitäten sind ausgeblutet, über den Zustand der Deutschen Bahn ist alles gesagt.

Euphemistisch ausgedrückt: In der deutschen Wirtschaft gibt es große Potenziale, die es zu heben gilt – in einer Zeit, in der sich der deutsche Staat zu negativen Zinsen verschulden kann und die konjunkturelle Schwäche in Deutschland und Europa mehr als eine geldpolitische Antwort benötigt. Dies ist genau die Situation, in der ein stabilisierender, finanzpolitischer Impuls des Staates mit einer langfristigen Investitionsagenda verknüpft werden sollte. Ein solches Programm bestünde aus drei Teilen.

Erstens sollte die Bundesregierung die öffentlichen Investitionen nicht nur für ein oder zwei, sondern für 10 oder 15 Jahre um ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts oder 30 Milliarden Euro pro Jahr erhöhen, am besten durch eine langfristige politische Vereinbarung mit den Oppositionsparteien. Nicht abgerufene Gelder sollten in einen Investitionsfonds überführt werden. Ein solch langfristig angelegtes Programm würde auch die Sorge des Bundesfinanzministers aufgreifen, zusätzliche staatliche Investitionen führten wegen fehlender Kapazitäten lediglich zu höheren Preisen. Denn eine langfristige Perspektive würde die Wirtschaft, auch die Bauwirt-schaft, dazu bewegen, ihrerseits Kapazitäten auszubauen.

Die Schuldenbremse, die zunehmend zur Investitionsbremse zu werden droht, sollte abgeschafft oder zumindest reformiert werden. Aber es ist auch möglich, staatliche Institutionen mit Kapital für Investitionen auszustatten, ohne die Schuldenbremse zu verletzen – so wie es kürzlich mit den mehr als 25Milliarden Euro für die Deutsche Bahn gemacht wurde. Manche Kritiker wehren sich gegen eine solche Umgehung der Schuldenbremse. Diese Kritik zeigt jedoch ihren Irrsinn, da sie nur auf die Staatsausgaben fokussiert ist und die öffentlichen Vermögen ignoriert.

Konkret sollten diese Mittel genutzt werden, um den Investitionsstau auf kommunaler Ebene zu lösen und die Herausforderungen für die Zukunftsfähigkeit des Standorts Deutschland anzugehen – neben der Energiewende, Forschung und Entwicklung, der Digitalisierung oder der Mobilität sind dies auch soziale Herausforderungen wie der Wohnungsbau. Schätzungen zeigen, dass erhebliche zusätzliche Investitionen benötigt werden, um die Wohnungsbaukrise, eines der zentralen Themen unserer Zeit, zu bewältigen: Konkret geht es um Summen von rund 15 Milliarden Euro jährlich für die kommenden zehn Jahre. Vieles spricht dafür, diesen Bedarf auch aus öffentlichen Mitteln zu finanzieren, da vor allem bezahlbarer Wohnraum fehlt. Aus dessen Errichtung hat sich die öffentliche Hand nahezu komplett zurückgezogen – schlimmer noch: vielfach wurden Wohnungsbestände privatisiert.

Ein zweites Element sollte die Förderung privater Investitionen sein. Öffentliche Investitionen ziehen private oft nach sich, daher sind öffentliche Investitionen gleichzeitig eine Förderung privater. Zur Förderung privater Investitionen gehören aber auch eine schnellere Abschreibung von Investitionsausgaben sowie steuerliche Anreize für Innovationen, vor allem um die große Schwäche im Bereich des Wissenskapitals zu beheben, bei dem nach einer neuen Studie des DIW Berlin jedes Jahr 35 Milliarden Euro fehlen.

Das dritte Element ist eine Entschuldung der Kommunen, die mehr als die Hälfte aller öffentlichen Investitionen tätigen, allerdings laut der Förderbank KfW nicht getätigte Investitionen von 140 Milliarden Euro vor sich herschieben. Ein Drittel aller Kommunen ist überschuldet und kann wichtige Investitionen überhaupt nicht tätigen. Es sind oft die gleichen Kommunen, die unter hohen Sozialausgaben leiden, von denen sie entlastet werden müssen. Auch die Kommission für gleichwertige Lebensbedingungen hat kürzlich eine Entschuldung der Kommunen gefordert.

Die Zeit für einen wirtschaftspolitischen Kurswechsel war selten dringender. Ein langfristig angelegtes Investitionsprogramm würde nicht nur kurzfristig Arbeitsplätze sichern und die Wirtschaft stabilisieren. Es würde auch das Potenzial der deutschen Wirtschaft stärken und letztlich die Wettbewerbsfähigkeit und den Wirtschaftsstandort Deutschland sichern helfen.

Marcel Fratzscher ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und Professor für Makroökonomie an der Humboldt Universität zu Berlin. Claus Michelsen ist Leiter der Abteilung Konjunkturpolitik am DIW Berlin. Christian Odendahl ist Chefökonom am Centre for European Reform (CER), einem unabhängigen Think tank mit Sitz in London.

Für eine neue Mietsteuer

Stefan Bach, Claus Michelsen, erschienen am 1. Juli 2019 in der Süddeutschen Zeitung

Wer kennt heute noch die Hauszinssteuer? Vom Jahr 1924 an wurde sie auf Mieterträge erhoben, um die Immobilienbesitzer zu belasten, deren Schulden durch die Hyperinflation 1923 verschwunden waren. Quasi im Gegenzug mussten sie die gesparten Zinsen als Steuer an den Staat zahlen. Die Hauszinssteuer erzielte damals ein Aufkommen von bis zu zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts – das wären heute rund 70 Milliarden Euro im Jahr, mehr als das Doppelte von Grundsteuer, Grunderwerbsteuer und Erbschaftsteuer zusammengenommen.

Bei Steuerexperten und Wirtschaftshistorikern ist diese Episode nahezu vergessen. Intellektuelle Architekten und Stadtplaner bekommen dagegen leuchtende Augen, wenn man sie darauf anspricht. Denn die hohen Steuereinnahmen wurden überwiegend für den Wohnungs- und Städtebau eingesetzt, um die schlechte Wohnungssituation der einfachen Leute in den Städten zu verbessern. Wohnungsbaugenossenschaften und gemeinnützige Wohnungsunternehmen investierten kräftig. Und die Architektur war häufig innovativ und richtungsweisend: Die klassischen Siedlungen des “Neuen Bauens” entstanden mit diesen Mitteln, in Berlin etwa die Hufeisensiedlung, die Weiße Stadt oder die Wohnstadt Carl Legien.

Wäre das nicht auch ein Modell für heute? Die Wohnungsmärkte sind ungemütlich geworden, die soziale Kälte kriecht durch die Städte. In den vergangenen zehn Jahren sind die Mieten und noch mehr die Kaufpreise für Immobilien kräftig gestiegen. Damit einher gingen satte Vermögensgewinne für die Immobilienbesitzer, ohne dass die etwas dafür tun mussten. In Berlin haben sich die Preise für Eigentumswohnungen und Mietshäuser seit 2010 mehr als verdoppelt, in begehrten Innenstadtlagen teilweise verdreifacht. Die Angebotsmieten für Wohnungen haben seitdem um 60 Prozent zugelegt und auch im Bestand steigen die Mieten. Wohnungen ab 4000 Euro je Quadratmeter oder Neuvertragsmieten von deutlich über zehn Euro nettokalt können sich nur noch Besserverdienende und Reiche leisten. Geringverdienende und untere Mittelschichten werden aus der Innenstadt vertrieben, die soziale Segregation in den Quartieren steigt.

Die Sonderabgabe könnte Nettokaltmieten zum Beispiel mit fünf Prozent belasten

Die Politik und vor allem der rot-rot-grüne Senat in Berlin bekommen das Problem nicht in den Griff. Die kaputtgesparte und derangierte Berliner Verwaltung ist kaum in der Lage, das Alltagsgeschäft zu bewältigen. Die Baukapazitäten sind knapp. Naturschutz und Bürgerinitiativen torpedieren häufig größere Projekte und die Schaffung von Bauland. Der Neubau kommt nicht hinterher. Wenn sich aber die Nachfrage erhöht und das Angebot zurückbleibt, steigen die Preise. Mieten kann man deckeln. Aber das senkt auf Dauer die Qualität im Bestand, fördert die Umwandlung in Wohneigentum und verstärkt damit die soziale Segregation weiter. Mehr noch: Preise werden als Knappheitsindikator vollständig außer Kraft gesetzt und verlieren ihre Lenkungswirkung – kurzfristig kann dies zwar eine Entlastung bringen, eine dauerhafte Deckelung würde jedoch ohnehin schon überlaufene Städte wie Berlin im Vergleich zu ländlichen Gegenden noch attraktiver machen.

Vor allem die Enteignungsinitiative ist da hilflose Symbolpolitik. Es wäre geradezu absurd, heute Wohnungsbestände zum Doppelten oder Dreifachen des Preises zurückzukaufen, zu denen man sie vor 15 Jahren unter Wert verhökert hat. Besser kann man Spekulation nicht belohnen. Zwar muss man nicht zum Marktwert entschädigen, doch dann wird man sich über die angemessene Höhe ewig und drei Tage streiten. Und neue Wohnungen, die dringend gebraucht würden, sind so noch lange nicht gebaut.

Apropos Enteignung: Wir werden doch alle ständig enteignet – durch die Steuern. Und zwar ohne Entschädigung, denn als Gegenleistung gibt es die staatlichen Leistungen, gratis für alle. “Ein guter Finanzminister ist der beste Sozialisierungsminister”, sagte Reichsfinanzminister Matthias Erzberger vor genau 100 Jahren in der Weimarer Nationalversammlung, als er nach dem Ersten Weltkrieg mit einer Reform das Steuersystem gerechter gestalten wollte. Auch heute gibt es beim Thema Steuergerechtigkeit noch Luft nach oben.

Bei der Besteuerung von Erwerbseinkommen ist Deutschland international Spitze. Die gehobenen Mittelschichten und Besserverdienenden zahlen auf ihre hart verdienten Einkommen schnell 30 Prozent Einkommensteuer und Soli, plus Sozialabgaben, plus indirekte Steuern auf den Verbrauch. Beim Vermögen sind wir dagegen ein Niedrigsteuerland. Immobilienbesitzer zahlen nur Einkommensteuer. Und die Superreichen vermeiden mitunter auch die, indem sie ihre Überschüsse klein rechnen und in Steueroasen lenken. Wertsteigerungen sind für Privatanleger zumeist komplett steuerfrei, wenn sie die Immobilie länger als zehn Jahre halten. Die Erbschaftsteuer ist unbedeutend und die Grundsteuer niedrig.

Statt einzelne Investoren selektiv zu enteignen, könnte man die Wertsteigerungen und die gestiegenen Immobilieneinkommen breit und moderat an der Quelle belasten – mit einer “Hauszins”- oder Mietsteuer, die alle Nettokaltmieten mit zum Beispiel fünf Prozent belastet, gegebenenfalls abgestuft nach der Höhe der Quadratmetermiete oder Baualter. Das wären in Berlin im Durchschnitt etwa 30 Cent je Quadratmeter und Monat. Ausgestaltet als Sonderabgabe, deren Aufkommen zweckgebunden für die Förderung der Wohnungswirtschaft verwendet wird, könnte das sogar ein Bundesland wie Berlin einführen.

Wenn man dann mit diesen Einnahmen Neubaumieten oder Angebotsmieten von zum Beispiel zehn auf sieben Euro je Quadratmeter und Monat heruntersubventionieren möchte, bräuchte man zehn Wohnungen, die man belastet, um eine zu fördern. Bei rund zwei Millionen Wohnungen in Berlin ließen sich damit 200 000 Wohnungen fördern – immerhin.

Dass so etwas geht, zeigt eine andere Anekdote aus der Steuergeschichte. In Tsingtau und Kiautschou, Kolonie und Marinestützpunkt Deutschlands in China von 1898 bis 1914, schöpfte die deutsche Verwaltung konsequent die kräftigen Bodenwertsteigerungen ab und finanzierte mit einer hohen Bodenwertsteuer die Infrastruktur. Das Modell wurde berühmt und war noch präsent, als man in den 70er-Jahren erfolglos versuchte, Bodenwertsteigerungen durch die öffentliche Infrastruktur mit einer Bodenwertzuwachssteuer oder einem “Planungswertausgleich” zu belasten. Damals kalauerte die Bundeszentrale für Politische Bildung – aus heutiger Sicht natürlich nicht ganz politisch korrekt: “Glundstückslefolm ist ein altel Zopf”.


Vergesst die schwarze Null

Marcel Fratzscher, Claus Michelsen, erschienen am 2. März 2019 in der Wirtschaftswoche

Sparen ist eine deutsche Obsession und nicht immer sinnvoll. Der Investitionsstau in Deutschland wird zu einer immer größeren Bedrohung für Wachstum und Wohlstand. Wir brauchen schnellstens einen Kurswechsel in der Finanzpolitik.

Bundesfinanzminister Olaf Scholz hat für Aufsehen gesorgt, als er bekannt gab, dass dem Bundeshaushalt in den kommenden Jahren 25 Milliarden Euro fehlen könnten. Viele sahen die heilige Kuh der Finanzpolitik, die Schwarze Null, gefährdet und forderten umgehend einen Sparkurs. Dabei muss Deutschland endlich weg davon, Sparen und die Vermeidung von Schulden als Selbstzweck zu verstehen. Denn die gegenwärtige Finanzpolitik von Bund, Ländern und Kommunen setzt Deutschlands wirtschaftliche Zukunft aufs Spiel.

Allein die Kommunen haben einen Investitionsstau von fast 160 Milliarden Euro und trotz des Digitalpakts gibt Deutschland noch immer deutlich weniger für Bildung aus als vergleichbare Länder. In der Verkehrsinfrastruktur fehlen jedes Jahr sieben bis zehn Milliarden Euro und ohne staatliche Investitionen wird Deutschland keine moderne digitale Infrastruktur bekommen. Dies alles kostet Wachstum und Wohlstand. Es ist höchste Zeit für ein grundlegendes Umdenken und eine nachhaltige Investitionsoffensive.

Der grundlegende Fehlschluss der deutschen Obsession für das Sparen ist, dass Schulden per se schlecht sind und Sparen gut ist. Die entscheidende Frage ist jedoch, wofür der Staat das Geld ausgibt. Investitionen des deutschen Staates in Bildung, Innovation und eine leistungsfähige Infrastruktur sind heute dringend notwendig und würden hohe Renditen abwerfen – nicht nur für die Privatwirtschaft und die Menschen, sondern letztlich über eine höhere Wirtschaftsleistung und mehr Steuereinnahmen auch für den Staat. Vor Einführung der Schwarzen Null wurde übermäßige Verschuldung daher nicht an einer starren Defizitgrenze, sondern an der Veränderung des öffentlichen Vermögens gemessen. Eine sinnvollere Regel als die der schwarzen Null ist daher, dass die Verschuldung nicht höher als die Nettoinvestitionen ausfallen darf.

Es gibt zudem zwei gute Gründe, weshalb gerade jetzt der richtige Zeitpunkt für die Bundesregierung ist, ihre Ausgaben und vor allem Investitionen deutlich zu erhöhen und dafür – wenn nötig – auch neue Schulden aufzunehmen. Ein Grund sind die niedrigen Zinsen. Die Bundesregierung zahlt zurzeit 0,3 Prozent Zinsen auf eine zehnjährige Anleihe, für kurzlaufende Anleihen erhält sie sogar Geld. Dies bedeutet, dass heute selbst solche Projekte mit geringen Renditen lohnend sind, die sich vor 15 Jahren bei Zinsen von fünf Prozent nicht gerechnet hätten.

Selbst bei Mehrausgaben des Staates von drei Prozent kann Deutschland seinen Schuldenstand von knapp unter 60 Prozent der Wirtschaftsleistung stabilisieren, da die die nominale Wirtschaftsleistung um mehr als drei Prozent im Jahr wächst. Dies unterstreicht auch den Unsinn der deutschen Schuldenbremse, die dem Bund ein strukturelles Defizit von lediglich 0,35 Prozent und Ländern und Kommunen gar einen ausgeglichenen Haushalt diktiert. Kosten und Renditen staatlicher Investitionen werden bei dieser Art von Schuldenbremse schlichtweg ignoriert.

Zudem werden die Zinsen nicht immer so niedrig bleiben werden. Es lohnt sich also gerade jetzt für den deutschen Staat, klug in die Zukunft zu investieren und Investitionslücken in Deutschland zu schließen, sodass in Zeiten hoher Zinsen dieser Bedarf nicht mehr besteht.

Der zweite gute Grund, mit Investitionen nicht zu warten, ist die schwächer werdende Konjunktur. Diese könnte in den kommenden Jahren Unterstützung benötigen, insbesondere da die Risiken für die deutsche Wirtschaft derzeit enorm sind. Ein unberechenbarer US-Präsident, der sich in diesem Jahr wohl Deutschland und Europa als Gegner in seinem Handelskonflikt vornehmen wird, eine angeschlagene Wirtschaft in China und hausgemachte Probleme in Europa könnten sich alle sehr negativ für die deutsche Wirtschaft auswirken. Gerade weil die Umsetzung von Investitionsprojekten Zeit erfordert, wäre eine deutsche Investitionsoffensive jetzt genau richtig, damit die Wirtschaft in den kommenden zwei bis drei Jahren einen unterstützenden Impuls erhält.

All dies bedeutet nicht, dass der Staat nun mit allen Mitteln das Geld ausgeben und unter die Leute bringen sollte. Die Bundesregierung hat bereits den größten Teil ihrer zusätzlichen Ausgaben für Soziales und Steuersenkungen versprochen. Deutschland braucht aber auch eine Investitionsoffensive in den Bereichen Bildung, Innovation und Infrastruktur.

Bund und Länder sollten die niedrigen Zinsen und die sich abschwächende konjunkturelle Lage nutzen, um einen wichtigen, stabilisierenden Impuls für die Wirtschaft zu setzen und den Wirtschaftsstandort Deutschland langfristig zu sichern. Es ist jetzt Zeit für einen Kurswechsel in der deutschen Finanzpolitik.


Wie die Mietpreisbremse gewirkt hat

Andreas Mense, Claus Michelsen, erschienen am 28. Februar 2019 in Makronom Blog

Eine aktuelle Studie zeigt, dass viele der negativen Vorurteile über die Mietpreisbremse angesichts ihrer messbaren Effekte revidiert werden müssen. Dennoch sollte das Gesetz nachgebessert und weitere Maßnahmen ergriffen werden, um das Problem der Wohnungsnot zu reduzieren. Ein Beitrag von Andreas Mense und Claus Michelsen.

Die Mietpreisbremse gilt mittlerweile seit gut drei Jahren, und nur wenige Gesetze wurden seither in der Öffentlichkeit kontroverser diskutiert. Die häufig zugespitzte Debatte hat mutmaßlich auch die Erwartungshaltung an die Regulierung überhöht, sodass die tatsächliche Wirkung – wie sie denn auch in einigen empirischen Studien gezeigt werden konnte – kaum mehr als solche wahrgenommen wurde. Das Meinungsspektrum reicht daher von Forderungen einer radikalen Verschärfung bis hin zum Ruf nach einer ersatzlosen Abschaffung der Mietpreisbremse.

Gut drei Jahre nach der Einführung der Regulierung wurde nun Bilanz gezogen. Das DIW Berlin hat gemeinsam mit der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg untersucht, was die Mietpreisbremse bewirkt hat, und welche Befürchtungen sich als falsch oder wahr herausgestellt haben. Um es vorweg zu nehmen: ein Großteil der Aufregung der letzten drei Jahre war umsonst. Viele Vorurteile über die Mietpreisbremse müssen angesichts ihrer messbaren Effekte revidiert werden.

Missverständnisse und unzureichend geeichte Blitzer

Das verbreitetste Urteil: Die Mietpreisbremse wirkt offensichtlich nicht – die Mieten steigen und steigen. Letzteres ist richtig, fußt aber auf einem Missverständnis, das möglicherweise schon in der Namensgebung angelegt ist: Die Mietpreisbremse ist nicht dahingehend konstruiert, dass sie steigende Mieten grundsätzlich verhindert. Vielmehr ist sie konstruiert, um Preisspitzen, also das Überschießen von Mieten, abzuschneiden. An der fundamentalen Hauptursache für steigende Mieten – nämlich fehlenden Wohnungen – kann und soll die Mietpreisbremse nichts ändern.

Dennoch ist es falsch, dass die Mietpreisbremse gar keine messbare Wirkung entfaltet hätte. Häufig wird in Studien darauf abgestellt, dass viele Mietinserate in den bekannten Onlineportalen offensichtlich über der erlaubten Grenze der ortsüblichen Vergleichsmiete von plus zehn Prozent liegen. Diese Studien versuchen also zu messen, wie viele „Geschwindigkeitsüberschreitungen“ stattfinden. Und es „blitzt“ sehr häufig in der Radarfalle: Mehr als 50 Prozent aller Inserate liegen auf den ersten Blick über dem zulässigen Wert.

Allerdings sind die Blitzer unzureichend geeicht. So gibt es einige gesetzliche Ausnahmen, die hier keinen klaren Befund zulassen. Eine Wirkung der Mietpreisbremse lässt sich aber dennoch feststellen. Betrachtet man die durchschnittlich gefahrene Geschwindigkeit, sprich: den Anstieg der Durchschnittsmiete, so finden sich deutliche Bremspuren in Regionen, in denen die Mietpreisbremse eingeführt wurde. Die Mieten regulierter Altbauten sind nach Einführung der Mietpreisbremse langsamer gestiegen als die unregulierter Neubauten.

Ist die Mietpreisbremse eine Neubaubremse?

Ein zweites sehr oft vorgetragenes Argument lautet: Die Mietpreisbremse verhindert den Neubau und wirkt so kontraproduktiv. Auch dieses Vorurteil zeugt eher davon, dass Kommentatoren sich nicht mit der Ausgestaltung des Gesetzes auseinandergesetzt haben. Denn die Mietpreisbremse hat im Gegenteil eher eine neubauanregende Wirkung, weil die Nachfrage nach den regulierungsbedingt „günstigen” Wohnungen im Bestandssegment künstlich angefacht wird: Mehr Menschen versuchen innerhalb der Städte Wohnraum zu finden, als dies ohne Mietpreisbremse der Fall gewesen wäre. Die zusätzliche Nachfrage treibt aber die Mieten im Neubausegment noch an, die Rentabilität der Investitionen dort steigt und dürfte weitere Bauherren auf den Markt locken. Statistisch lässt sich dies zeigen: die Mieten steigen, Preise von Neubauten ziehen an, Bodenpreise ebenfalls. Jüngste Zahlen zu Baugenehmigungen deuten keinesfalls auf eine geringere Bauaktivität hin.

Strittig ist, was mit dem Bestand regulierter Wohnungen passieren wird – hier wird oft befürchtet, dass weniger in die Instandhaltung investiert und damit die Qualität der Wohnungen sinken wird. Langfristig müssten sogar Gebäude abgerissen werden. Diese so aus dem regulierten Markt gedrängten Wohnungen würden theoretisch aber wieder durch unregulierte Neubauten ersetzt. Die Mietpreisbremse erlaubt zudem moderate Mietsteigerungen bei kleineren Modernisierungen. Empirisch lassen sich weder negative Effekte auf die Modernisierung noch auf die Umwandlung in Eigentumswohnungen feststellen. Kurzum: Es spricht wenig dafür, dass die Investitionstätigkeit reduziert wurde – wahrscheinlicher ist, dass gerade wegen der Mietpreisbremse mehr Wohnraum neu gebaut und so das Angebot langfristig sogar über die Menge eines unregulierten Marktes hinaus steigen würde.

Wie soll es mit der Mietpreisbremse weitergehen?

Alles gut also? Kann die Mietpreisbremse sorgenfrei deutschlandweit und ohne die Begrenzung auf fünf Jahre eingeführt werden? So einfach ist es nicht.

Begründet werden kann ein derartiger Eingriff in den Markt in erster Linie deshalb, weil die Regulierung temporäre Preisspitzen – ausgelöst durch starke Nachfrageschübe bei gleichzeitig unflexiblem Wohnraumangebot – kappt und so soziale Kosten starker Marktschwankungen reduziert. Die Politik nimmt damit eine Stabilisierungsfunktion wahr. Dem Ansinnen des Mieterschutzes steht aber ein berechtigtes Interesse an verlässlichen Rahmenbedingungen für Immobilieneigentümer gegenüber. Das Instrument wurde als ein vorübergehender Eingriff eingeführt – unter dieser Maßgabe haben Investorinnen und Investoren bislang gehandelt. Fällt diese Begründung weg, sollte in der Konsequenz auch die Regulierung entfallen.

Einer bundesweiten und dauerhaften Einführung der Mietpreisbremse stehen aber auch ganz praktische Gründe entgegen. Ein positiver Nebeneffekt der Mietpreisbremse ist der Investitionsimpuls, der sich in der kurzen Frist auch empirisch zeigt. Dieser Effekt beruht maßgeblich darauf, dass im Vertrauen auf eine dauerhafte Ausnahme von Neubauten von der Mietpreisbremse höhere Erträge erwartet werden als im Bestandssegment. In der Diskussion um eine Verlängerung der Mietpreisbremse oder eine Entfristung der Regelung wird auch die Frage nach einer Änderung der Stichtagsregelung für Neubauten gestellt. Bei einer dauerhaften Einführung der Mietpreisbremse stellt sich diese Frage noch drängender, da der regulierte Bestand immer kleiner und der unregulierte Bestand immer größer wird.

Eine Änderung der Stichtagsregelung bereits jetzt hätte aber problematische Nebeneffekte. Denn zu diesem Zeitpunkt würden, am Gesamtbestand gemessen, nur vergleichsweise wenige zusätzliche Wohnungen in den regulierten Teil des Markts einbezogen. Gleichzeitig würde das Vertrauen von Investorinnen und Investoren erheblich erschüttert. Derzeit werden Wohnungen in großen Städten für mehr als das 25-fache einer Jahreskaltmiete gehandelt. Eine Änderung der Gesetze hinsichtlich des Stichtags nach weniger als fünf Jahren würde diese langfristigen Investitionen unterbinden und das Vertrauen nachhaltig erschüttern.

In der praktischen Anwendung bestünde in vielen Regionen zudem das Problem, dass die notwendige Bezugsgröße – die ortsübliche Vergleichsmiete – nicht in Mietspiegeln veröffentlicht wird. Laut Mietspiegeldatenbank des Bundesinstituts für Bau-, Stadt und Raumforschung (BBSR) gibt es zwar in den meisten Großstädten eine entsprechende statistische Grundlage, gerade in kleineren Städten mit bis zu 50.000 Einwohnern sind es aber deutlich weniger als die Hälfte der Kommunen. In Gemeinden unter 20.000 Einwohnern sind es gar nur zwei Prozent, die über einen Mietspiegel verfügen.

In weiten Teilen Deutschlands müsste damit von Mieterinnen und Mietern aber auch von Eigentümerinnen und Eigentümern erheblicher Aufwand betrieben werden, um das zulässige Mietniveau auf alternativen Wegen zu ermitteln. Ohne eine einfach zugängliche und belastbare statistische Grundlage ist die Mietpreisbremse praktisch schwer anwendbar.

Dies führt zum letzten Punkt: das Gesetz ist in seiner aktuellen Fassung schwer anwendbar, weil es häufig an den notwendigen Informationen für die Durchsetzung fehlt – Verbesserungen wurden hier immerhin schon auf den Weg gebracht.

Schwerwiegender ist aber, dass es einen ökonomischen Anreiz gibt, gegen das Gesetz zu verstoßen. Als Teil des Vertragsrechts ist ein Verstoß gegen die Mietpreisbremse ein zivilrechtlich zu klärendes Problem zwischen den Vertragsparteien. Derzeit droht lediglich die Rückzahlung der ab dem Zeitpunkt einer berechtigten qualifizierten Rüge zu viel bezahlten Miete. Alle bis zu diesem Zeitpunkt geleisteten Mietzahlungen bleiben davon unberührt. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass sich Vermieterinnen und Vermieter bei einer Missachtung des Gesetzes ökonomisch nur besserstellen können, sofern sie keinen kostspieligen Prozess über die zulässige Miethöhe führen. Dieser Anreiz ist für die faktische Geltung des Gesetzes kontraproduktiv und sollte durch eine Regelung ersetzt werden, die eine Rückerstattung der zu viel gezahlten Mieten bis zum Beginn des Vertragsverhältnisses erfordert. Um den Rechtsfrieden zu sichern wäre es denkbar, für eine Rüge eine Frist einzuführen: So könnte beispielsweise die Möglichkeit der Beschwerdeführung auf die ersten drei Jahre eines Mietverhältnisses beschränkt werden.

Weder Fehlschuss noch Allheilmittel

Unter dem Strich ist festzuhalten, dass die Mietpreisbremse nicht der politische Fehlschuss ist, zu dem sie gerne gemacht wird. Sie ist aber auch kein Allheilmittel. In der Begründung des Gesetzentwurfs zur Mietpreisbremse wird auch angeführt, dass diese nur eines von mehreren Elementen einer aktiven Wohnungsmarktpolitik sein kann. Benötigt würden auch weitere Maßnahmen, wie beispielsweise die Bereitstellung von Bauland, die Wiederbelebung des sozialen Wohnungsbaus, eine aktive kommunale Liegenschaftspolitik sowie die Unterstützung von altersgerechtem Umbau oder die Förderung der energetischen Modernisierung. Die gewonnene Zeit wurde offenbar nicht in ausreichendem Maß genutzt, um die Knappheit auf den Wohnungsmärkten zu reduzieren. Hierauf sollte die Politik ihre Kräfte konzentrieren.


WAM statt WUM

Stefan Bach, Claus Michelsen, erschienen am 7. Februar 2019 in Makronom Blog

Bund und Länder haben sich auf die Eckpunkte einer Reform der Grundsteuer verständigt. Was ist von dem Kompromiss zu halten? Eine Analyse von Stefan Bach und Claus Michelsen.

Die Zeit drängt bei der Grundsteuerreform. Nach dem Verdikt des Bundesverfassungsgerichts muss bis Ende des Jahres eine Neuregelung stehen, die sich innerhalb von fünf Jahren umsetzen lässt. Die Reichweite der Reform ist gigantisch: 35 Millionen Immobilien sind bundesweit neu zu veranlagen. Ende letzter Woche ist nun Bewegung in den zähen Verhandlungsprozess gekommen: Bund und Länder haben sich auf die Eckpunkte einer Grundsteuerreform verständigt.

Eigentlich ist es ein Treppenwitz, dass jetzt mit dem „wertabhängigen Modell“ (WAM) ein Relaunch der alten Einheitsbewertung aus dem Hut gezaubert wurde – denn die schwierigen Bewertungsverfahren waren der Grund dafür, dass die 1964er Einheitsbewertung floppte. Die Verfahren zogen sich bis zu zehn Jahre hin, taugten aber trotzdem nichts. Angesichts der allgemeinen Frustration wurde die Neubewertung in den folgenden Jahrzehnten auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben.

Damals war die Grundstücksbewertung noch Teil der Vermögensbesteuerung und wurde auch für Vermögensteuer und Erbschaftsteuer verwendet. Erstere gibt es heute nicht mehr, und für Letztere gibt es gesonderte Verfahren. Daher kann man den Anspruch einer verkehrswertnahen Bewertung aufgeben. Für die Kommunalbesteuerung geht es schlicht darum, an den Grundstücken anzuknüpfen. Ob dabei Flächen oder Werte maßgeblich sind, ist eine sekundäre Frage. Und angesichts des moderaten Aufkommens – im Durchschnitt 200 Euro je Wohnung – lohnen sich keine teuren Veranlagungen. Eine halbwegs vernünftige Immobilienbewertung, die den Verhältnissen des Einzelfalls Rechnung trägt, kostet schnell 1.000 Euro und mehr.

Das spricht grundsätzlich für ein einfaches Verfahren – das Flächenmodell oder wertunabhängige Modell (WUM): Dabei nimmt man schlicht die Grundstücksfläche und die Gebäudefläche und fasst sie mit Gewichtungsfaktoren zusammen. Der Haken dabei: Die topsanierte Villa im Nobelviertel wird genauso hoch besteuert wie das abgewohnte Eigenheim am Stadtrand neben der Großwohnsiedlung – obwohl sie drei- bis viermal so viel wert ist. Das wird kaum akzeptiert, auch wenn sich der kommunale Aufwand für die beiden Immobilien nicht in dieser Größenordnung unterscheidet.

Der Ökonomen liebste Steuer: die Bodenwertsteuer

Die Ökonomen lieben die Bodenwertsteuer, die aus der kommunalfinanzpolitischen Perspektive klare Vorteile hat: Die Kommune partizipiert an der Entwicklung der Bodenwerte, die maßgeblich durch öffentliche Leistungen (Infrastruktur, Bildungseinrichtungen etc.) beeinflusst werden. Ferner fördert sie wichtige städtebauliche Ziele und belastet die Grundstückspekulation, denn unbebaute oder untergenutzte Grundstücke werden genauso hoch besteuert wie bebaute. Investoren, die mit ihren Grundstücken etwas Sinnvolleres als die Rasenzucht anfangen wollen, werden nicht „bestraft“, Umnutzungen und Nachverdichtungen nicht belastet, das Brachliegenlassen von Flächen wird dagegen teurer. Langfristig belastet die Bodenwertsteuer die Bodenrente – und die kann man nach der Theorie abschöpfen, ohne dass damit Leistungsanreize verringert werden.

Nicht zuletzt ist die Grundsteuer auch im Sinne der fiskalischen Äquivalenz eine gute Steuer. Dort, wo öffentliche Leistungen erbracht werden, wird die Last der Finanzierung größer, die mit der Bodenwertsteuer internalisiert wird. Bisher ist es ein „free lunch“, wenn eine öffentliche Infrastruktur eingerichtet wird. Eine größere Budgethoheit von Bürgerinnen und Bürgern stärkt auch kommunale Demokratieprozesse – dazu gibt es einige empirische Evidenz.

Allerdings ist auch die Bodenwertsteuer in der Steuerpolitik nur schwer zu vermitteln. Insbesondere bei Eigenheimen in Großstädten liegen die Bodenrichtwerte in sehr guten Lagen mitunter um ein Vielfaches höher als in Randlagen. Klassisch sind hier „Oma ihr klein Häuschen“ mit großem Grundstück in Top-Lage oder auch die junge Familie, die sich für ein entsprechendes Eigenheim bis unter die Halskrause verschuldet hat. Die Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen ist bei der Bodenwertsteuer nicht hinreichend berücksichtigt, wird häufig kritisiert. Und auch bei Mietern können die Unterschiede zwischen den Ortslagen erheblich sein, auch wenn sie wegen des geringeren Grundstücksanteils bei Geschosswohnungsbauten weniger stark durchschlagen. Gerade in der SPD stört man sich zudem daran, dass der Wert des Gebäudes keine Rolle spielen soll. Vielen Genossen stößt es auf, dass kleine Häuschen und mondäne Stadtvillen gleichbehandelt werden sollen.

Das WAM-Modell

Das Ende letzter Woche modifizierte WAM-Modell bemüht sich um einen Kompromiss zwischen den unterschiedlichen Herausforderungen und Anforderungen. Es berücksichtigt die lokalen Wertunterschiede, dimmt gravierende Differenzen aber deutlich herunter. Da nur noch kommunale Durchschnittmieten verwendet werden sollen, müssen die Mieterträge nicht individuell bei den Steuerpflichtigen erhoben werden. Liegen die Nettomieten deutlich unter den Durchschnittsmieten, können auch tatsächlich gezahlte Mieten herangezogen werden. Im Rahmen des vereinfachten Ertragswertverfahrens schlagen die Lageunterschiede über die Bodenrichtwerte nur wenig auf den Gesamtwert durch. Verbleibende Bewertungsdifferenzen können durch breiter zonierte Bodenrichtwerte weiter gemildert werden. Zudem soll das Gebäudealter Berücksichtigung finden: Ob eine Unterteilung in zwei Altersklassen – vor und nach 1948 – allerdings zu mehr Gerechtigkeit führt, sei dahingestellt. Alles in allem bleibt nicht mehr viel von den lokalen Wertunterschieden übrig.

Natürlich müssen für das Kompromissmodell neben den Grundstücksflächen auch die Gebäudeflächen erhoben werden, die bisher nicht in den Datenbanken der Behörden erfasst sind. Aber das ist eine einmalige Investition, die in den nächsten Jahren zu schaffen sein sollte – zumal das auch für das wertunabhängige Modell erforderlich wäre. Schwierig bleibt es aber bei Objekten mit betrieblichen Nutzungen oder reinen Geschäftsgrundstücken. Hier ist ein stark vereinfachtes Sachwertverfahren geplant, das mit acht Angaben auskommen soll. Aber auch in diesen Fällen muss sich die Wirtschaft fragen, ob ein reines Flächenmodell sinnvoll ist. Das entlastet zwar die guten Handels- und Dienstleistungsflächen in den Zentren, kann aber viele Industriebetriebe, Bauunternehmen oder Logistiker mit großen, aber nicht sonderlich wertvollen Grundstücken und Gebäuden kräftig belasten.

Ein wichtiger Vorteil des Kompromissmodells ist auch, dass eine aufwändige Grundgesetzänderung vermieden werden könnte. Denn nach einer Änderung bei der konkurrierenden Gesetzgebung gibt es noch Bestandsschutz für die bestehenden Regelungen einschließlich deren Anpassung, nicht aber für grundlegende Neuregelungen wie das wertunabhängige Modell oder die Bodenwertsteuer.

Wie geht es weiter?

Die Frage für die nächsten Wochen ist, ob der Kompromiss trägt. In Union, FDP und der Wirtschaft sehen viele die Chance, mit der Wertkomponente auch die Drohkulisse der Vermögensteuer wegzubekommen. Ferner fürchtet man einen laufenden Anstieg der Grundsteuerbelastungen, da die regelmäßig aktualisierten Bodenrichtwerte und Mieten das Grundsteueraufkommen automatisch mit der Wirtschaft mitwachsen lassen und nicht laufend die Hebesätze angehoben werden müssen. Vielfach wird über einen „Mietenturbo“ geklagt, denn derzeit ist die Grundsteuer in der Nebenkostenabrechnung umlagefähig.

Auch der bayerische Ministerpräsident Markus Söder signalisierte umgehend, dass der Kompromiss für ihn noch nicht spruchreif ist. Gerade die Bayern stehen seit jeher an vorderster Front, wenn es darum geht, eine effektivere Besteuerung von Immobilien sowie der Schönen und Reichen im Lande zu verhindern – nicht zuletzt, weil sie befürchten, dass sie im Finanzausgleich noch mehr an die armen Brüder und Schwestern im Norden und Osten der Republik zahlen müssen. Hierfür lassen sich aber pragmatische „Grandfathering“-Regelungen finden, indem man die bestehenden Umverteilungsreglungen über einen gewissen Zeitraum einfriert und erst längerfristig die veränderte Steuerkraft berücksichtigt. Ähnliches wäre auch für den kommunalen Finanzausgleich in den Flächenländern sinnvoll, um den einzelnen Kommunen die aufkommensneutrale Anpassung der Hebesätze zu erleichtern.

Generell wäre es sinnvoll, den Ländern oder Kommunen mehr Gestaltungsmöglichkeiten bei der Bemessungsgrundlage zu erlauben, etwa indem die Messzahlen nach Grundstücksarten differenziert oder auch Bodenwert- und Grundstückskomponente unterschiedlich gewichtet werden können. In der derzeitigen Ausgestaltung des Kompromisses wird eine große Chance vergeben, eine Reform mit entsprechenden Gestaltungsmöglichkeiten für die Landes- und Kommunalpolitik zu ergänzen.

Wenn alle Stricke reißen und die Reform scheitert, fällt die Grundsteuer an die Länder – die Einheitlichkeit der Rechtsordnung und der Wirtschaftsbedingungen würde aufgegeben. Dann kann jedes Land sein eigenes Ding machen. Und es kommen übrigens auch programmatische Aussagen der Landesverfassungen zum Tragen, die bisher kaum jemand kennt, geschweige denn ernst nimmt.

So liest man in Art. 161 Abs. 2 der Verfassung des Freistaates Bayern:

Steigerungen des Bodenwertes, die ohne besonderen Arbeits- oder Kapitalaufwand des Eigentümers entstehen, sind für die Allgemeinheit nutzbar zu machen.

Hört, hört!


Die Dosis macht das Gift

Claus Michelsen, erschienen am 2. Februar 2019 in Der Tagesspiegel

Enteignen, verstaatlichen, regulieren – selten fanden derartige wohnungspolitische Vorschläge mehr Anhänger als heute. Für viele Mieterinnen und Mieter sind Deutsche Wohnen oder Vonovia zum Sinnbild eines ungezügelten Wohnungsmarktes geworden: Unternehmen, die rücksichtslos ältere Menschen aus ihren Wohnungen „herausmodernisieren“, Mieten für junge Familien bis ins Unerträgliche erhöhen und sich dabei wenig um die Entwicklung von Stadtteilen und Quartieren kümmern, sondern in erster Linie um ihren eigenen Profit.

Unabhängig davon, ob diese Vorwürfe stimmen, scheint ein Gefühl der Ohnmacht die Saat für massive staatliche Eingriffe in den Wohnungsmarkt zu sein. Eigentum verpflichte schließlich, so die weit verbreitete Auffassung mit Verweis auf das Grundgesetz.

Entschädigungen müssten aktuelle Mietpreise reflektieren 

Und so steigt die Sympathie für harte Mietdeckel, für Enteignungenund die Ausübung kommunaler Vorkaufsrechte stetig. Geträumt wird beispielsweise in Berlin von einem großen kommunalen Wohnungsbestand, wie ihn Wien über Jahrzehnte aufgebaut hat. Zuletzt machte die Stadt Schlagzeilen mit der Ausübung des Vorkaufsrechts in der Karl-Marx-Allee, der ehemals ersten Adresse in der DDR. Kritiker tragen vor, dass angesichts der Kosten ein derartiger Eingriff keinesfalls gerechtfertigt sei und der Nutzen sich auf Wenige konzentriere.

Der Eintritt in einen Kaufvertrag erfolgt regelmäßig zum ausgehandelten Kaufpreis. Auch bei Enteignungen – sofern sie denn überhaupt zulässig wären – müssten Entschädigungen geleistet werden, die aktuelle Marktpreise reflektieren. Das Geld würde nicht in den Neubau zusätzlicher Wohnungen fließen, sondern in den Bestand. Die Schlangen bei Wohnungsbesichtigungen werden so nicht kürzer. Vordergründig profitierten – unabhängig von ihren finanziellen Verhältnissen – zunächst nur die aktuellen Bewohnerinnen und Bewohner von der Abwehr eines unliebsamen Investors. Viel Geld der Allgemeinheit würde also eingesetzt zum Nutzen vergleichsweise weniger Menschen.

230 Milliarden Euro für Neubau und Modernisierungen 

Gleichzeitig sorgt eine solche Politik auch dafür, dass Investitionsstandorte unattraktiver für privates Kapital werden. Häufig wird vergessen, wie sehr der Wohnungsmarkt am Tropf privater Anleger hängt: Rund 230 Milliarden Euro werden pro Jahr für den Neubau und die Modernisierung von Wohnimmobilien aufgewendet – nur ein Bruchteil davon entfällt auf die öffentliche Hand und öffentliche Wohnungsbaugesellschaften.

Dieses Volumen allein aus Steuergeldern zu finanzieren, erscheint aussichtslos. Der Bund müsste etwa 70 Prozent aller Mittel eines Haushaltsjahres zur Verfügung stellen – die Länder müssten 60 Prozent ihrer Budgets zu diesen Zwecken verwenden. Massive staatliche Eingriffe träfen zudem neben einigen schwarzen Schafen auch die Vielzahl von Vermieterinnen und Vermietern, die zum Zweck der privaten Altersvorsorge eine Eigentumswohnung erworben haben und sich pflichtbewusst um jeden Mangel am Mietobjekt kümmern, Nebenkosten ordnungsgemäß abrechnen und pünktlich den Schornsteinfeger ankündigen. Viel spricht dafür, dass der Flurschaden einer Politik der Verstaatlichung, Enteignung und starren Regulierung riesig wäre, der Nutzen aber nur gering.

Es geht um die Disziplinierung allzu gieriger Investoren 

Allerdings vernachlässigt eine solche Argumentation ein wichtiges Element: So ungeeignet und teuer Enteignungen und Vorkaufsrechte zum Aufbau eines kommunalen Wohnungsbestands sind, so wirksam können sie sein, wenn es um die Disziplinierung allzu gieriger Investoren geht. Mit einem wohl dosierten Einsatz des Vorkaufsrechts kann glaubhaft gemacht werden, dass Städte nicht jedes Treiben auf dem Wohnungsmarkt tolerieren.

Es geht also darum, alle Möglichkeiten klug einzusetzen – denn es lässt sich schwer leugnen, dass die aktuelle Marktsituation unter einer Unwucht leidet, die auch unlautere Geschäftspraktiken begünstigt. Genau diese im Sinne des Gemeinwohls zu unterbinden, ist Aufgabe einer kommunalen Wohnungsmarktpolitik.

Der Wohnungsmangel ermöglicht die unlauteren Praktiken 

Wenn Kommunen die Möglichkeit des Vorkaufs also tatsächlich in einzelnen prominenten Fällen wahrnehmen, dann nutzt dies nicht nur den Bewohnerinnen und Bewohnern der verstaatlichten Wohnungen. Auch andere Mieterinnen und Mieter werden aufgrund der Signalwirkung vor schwarzen Schafen bewahrt.

Ein großflächiger Aufkauf von Immobilien hätte dagegen kaum größere disziplinierende Wirkung als der gezielte Einzelfall. Vielmehr wäre es eine Verschwendung öffentlicher Gelder. Besser wäre es, diese zu verwenden, um vorausschauend Flächen zu erwerben, die später als Bauland ausgewiesen werden können, die eigenen Wohnungsbaugesellschaften zu stärken und so aktiv das Angebot an Wohnraum auszuweiten. Denn nur der Wohnungsmangel ermöglicht überhaupt erst die unlauteren Praktiken am Markt.


Steuererleichterungen für Luxuswohnungen

Claus Michelsen, erschienen am 19. November 2018 in Die ZEIT

Die große Koalition will die Wohnungskrise lösen und mehr bezahlbaren Wohnraum schaffen. Am Montag diskutiert der Finanzausschuss des Bundestags über Sonderabschreibungen für Investoren, um mehr Mietraum zu schaffen. Aber löst die Idee das Problem? Claus Michelsen, Konjunkturchef und Immobilienexperte am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin, ist skeptisch. 

Die Bundesregierung hat eine die Wohnraumoffensive angekündigt und in der laufenden Legislaturperiode den Bau von insgesamt 1,5 Millionen Wohnungen versprochen. Neben zusätzlichen Millionen für den sozialen Wohnungsbau und dem bereits eingeführten Baukindergeld sollen Sonderabschreibungen für mehr Mietwohnungsbau sorgen. Diese haben ihre Wirksamkeit in der Vergangenheit bereits mehrfach unter Beweis gestellt: Schließlich wird den deutschen Investorinnen und Investoren ein besonders ausgeprägter Steuerspartrieb nachgesagt. Allerdings hat dieses Instrument auch schon den ein oder anderen Flurschaden hinterlassen: Die vielen westdeutschen Glücksritter, die in den Neunzigerjahren ihr Geld im ostdeutschen Immobilienmarkt versenkt haben, können ein Lied davon singen. 

Der Finanzausschuss hat an diesem Montag über genau ein solches Vorhaben diskutiert. Ziel ist es einerseits mehr Wohnungen zu bauen, andererseits Wohnraum im "bezahlbaren" Segment zu schaffen – was genau das ist, bleibt allerdings unklar. Klar ist bislang nur: Die Bau- beziehungsweise Anschaffungskosten dürfen die Grenze von 3.000 Euro je Quadratmeter nicht überschreiten (die Kosten für das Bauland sind herausgerechnet). Diese Kosten können dann in den ersten vier Jahren zu 28 Prozent im Rahmen der Einkommensteuererklärung abgeschrieben werden. Das gilt für Vorhaben in München, Düsseldorf oder Berlin ebenso wie in Stendal, Vechta und Bad Saulgau. 

So weit, so gut. Aber ob diese Vorschläge tatsächlich das Neubauvolumen dort fördern, wo es nötig ist, und zusätzlicher Wohnraum im erforderlichen Preissegment geschaffen wird, darf bezweifelt werden. Stattdessen könnten die Maßnahmen zu weiter steigenden Bau- und Immobilienpreisen sowie räumlichen Fehllenkungen führen. Einige dieser Aspekte können mit Änderungen im Entwurf geheilt werden. Anderen kann nur dann begegnet werden, wenn zusätzliche Maßnahmen getroffen werden: Es braucht mehr Bauland und die kommunalen Planungskapazitäten in den Bauämtern müssen wieder aufgebaut werden. 

Gefahr von Mitnahmeeffekten

Grundsätzlich sind Investitionsanreize dann sinnvoll, wenn eine allgemeine Investitionszurückhaltung besteht, Investitionen aber dringend benötigt werden. Zwar mangelt es gerade in Städten an Wohnraum, allerdings fehlen dort weder Investoren noch notwendiges Kapital für die Finanzierung. Allein deshalb sind hohe Mitnahmeeffekte bei einer weit gefassten steuerlichen Förderung wahrscheinlich.    

Aber die Förderung wird auch in Regionen gewährt, in denen offensichtlich kein Wohnungsmangel besteht und die weitab der Zentren liegen, die sie möglicherweise durch Neubau in der Peripherie entlasten könnten. Und genau dort entfaltet die Förderung ihren größten Anreiz: Wo die Bodenpreise nicht ins Gewicht fallen, ist die Förderrendite insgesamt höher: Der Anreiz ist groß, mehr in die abschreibungsfähigen Kosten der Gebäude zu investieren. Es werden also voraussichtlich nicht Wohnungen im unteren Preissegment entstehen, sondern eher teurere Wohnungen errichtet werden.

Das könnte in der derzeitigen konjunkturellen Lage kontraproduktiv sein, wenn sich dadurch Bauleistungen weiter verteuern. Und auch die Knappheit beim Bauland lässt erwarten, dass eine zusätzliche Nachfrage zumindest in den Ballungszentren den bereits jetzt kräftigen Preisauftrieb weiter befeuert. 

Neben mehr Wohnraum sollen die Steueranreize auch zu Umlenkungen der Investitionen in das mittlere bis untere Preissegment führen. Da aber sowohl die maßgeblichen Anschaffungs- und Herstellungskosten selbst in den großen Städten teilweise weit unterhalb der gezogenen Grenze von 3.000 Euro liegen, dürfte dieser Effekt weitgehend ausbleiben. Denn die meisten Investoren kommen trotz dieser Hürden in den Genuss der staatlichen Unterstützung, ohne ihr Vorhaben verändern zu müssen. Und auch hier ist die regionale Dimension unberücksichtigt. Preise und Baukosten variieren deutschlandweit erheblich. In der einen Region würde "Luxus" gefördert, in der anderen nur eine Bretterbude.  

Diese Fehlkonstruktionen ließen sich heilen. Denn es muss nicht bei den Einheitswerten bleiben, die derzeit im Gesetzentwurf stehen. Es gibt regionale Informationen über die durchschnittliche Höhe der Neubaukosten und auch über das regionale Immobilienpreisniveau. Daraus ließen sich Grenzen ableiten: Die Förderung könnte etwa nur den Vorhaben gewährt werden, die ein Viertel unterhalb der regionalen Durchschnittswerte liegen. Dies hätte zur Folge, dass in Hamburg bei 1.800 Euro, in Berlin bei 1.600 und in Bayern die Förderung bei knapp 2.000 Euro je Quadratmeter Wohnfläche abgeschnitten würde. 

Besser wäre es Baulücken zu füllen

Ein zentrales Problem ist aber, dass es an Flächen für Neubauten fehlt. Erfolgsversprechender erscheint daher eine Förderung von Maßnahmen im Bestand und das Füllen von Baulücken. Dies wären Möglichkeiten, Wohnraum zu schaffen, ohne bereits aktive Investoren aus dem Markt zu drängen.   

Die Potenziale der Nachverdichtung (das Bauen in zweiter Reihe, Aufstocken von Häusern) ist Studien zufolge noch längst nicht ausgeschöpft. Der Charme ist offensichtlich: Neuer Wohnraum würde genau dort entstehen, wo die Nachfrage groß ist. Zudem wären Investoren nicht gezwungen, hohe Grundstückspreise in die Kalkulation ihrer Vorhaben einzubeziehen, denn diese wurden ja bereits in der Vergangenheit gekauft. Nachverdichtung wirkt zudem der Zersiedelung entgegen und reduziert den Flächenverbrauch. Dürfen die Städte dann noch festlegen, in welchen Gebieten die Unterstützung gewährt wird, wäre auch eine vernünftige Stadtentwicklungspolitik möglich.  

Anstelle der geplanten Abschreibungen erscheint es gerade bei Bestandsmaßnahmen sinnvoll, Zuschüsse oder auch Kreditabsicherungen als Ersatz für möglicherweise fehlendes Eigenkapital zu gewähren. Das könnte einen sinnvollen Beitrag zur Lösung des Wohnungsmarktproblems leisten.

Baustellenfrust: Warum müssen wir immer länger auf Handwerker warten?

Claus Michelsen, erschienen am 11. Juli 2018 auf XING

Die Baubranche und ganz besonders die Betriebe des Bauhandwerks haben derzeit alle Hände voll zu tun. Der Grund für die positive Entwicklung der Branche ist die Hausse am Immobilienmarkt – der Aufschwung geht mittlerweile in das neunte Jahr. Angefacht wird die Nachfrage durch die niedrigen Zinsen, die den Immobilienkauf, das Bauen und Sanieren so erschwinglich machen wie selten zuvor. Und auch die Wirtschaft brummt, sodass den privaten Haushalten und Unternehmen höhere Einkommen und Gewinne zur Verfügung stehen.

Für das Handwerk bedeuten steigende Neubauzahlen genauso wie höhere Umsätze mit Bestandsimmobilien mehr Aufträge. Denn typischerweise werden Handwerksleistungen dann nachgefragt, wenn Bewohner oder Eigentümer wechseln. Bei diesen Gelegenheiten werden nicht nur die üblichen Schönheitsreparaturen durchgeführt. Meist wird grundlegender modernisiert, beispielsweise ein neues Bad, eine neue Heizung oder eine neue Küche eingebaut. Die Unternehmen kommen kaum hinterher, die prall gefüllten Auftragsbücher abzuarbeiten. Die durchschnittliche Auftragsreichweite in der Bauwirtschaft – also wie lange ein Unternehmen im Vorhinein ausgelastet ist – hat sich von etwa zwei Monaten im Jahr 2010 auf aktuell knapp vier Monate verlängert. Diese Zahlen ermittelt der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes in seiner monatlichen Befragung der Handwerksbetriebe. Und so kommt es, dass man mancherorts länger auf den Handwerker wartet als auf einen Termin beim Facharzt.

Die Knappheit an Handwerkern bedingt steigende Preise

Der Druck geht aber nicht nur von der Nachfrage aus. Es verwundert, dass die Zahl der Handwerksbetriebe in den vergangenen Jahren gesunken ist. Und auch die Beschäftigung im Baugewerbe ist bei Weitem nicht so stark gestiegen wie die Nachfrage. Wahrscheinlich ist, dass vor allem Soloselbstständige den Weg in die Festanstellung gesucht haben. Es ist aber nicht der fehlende Wille der Betriebe, neue Mitarbeiter einzustellen. Die vom Ifo Institut befragten Unternehmen berichten mehrheitlich, dass die Personalgewinnung zu einem Problem geworden sei. Und auch die Bundesagentur für Arbeit meldete jüngst, dass in Deutschland flächendeckend Fachkräftemangel in der Baubranche herrsche. Offenbar ist es schwer, Nachwuchs für Tätigkeiten dort zu begeistern. Begannen im Jahr 2009 noch etwa 13.000 Menschen eine Ausbildung im Baugewerbe, waren dies im vergangenen Jahr nur noch 11.500 neue Lehrlinge. Dieses Problem wird sich aufgrund der Altersstruktur der Beschäftigten in den nächsten Jahren kaum ändern.

Die fehlenden Arbeitskräfte konnten in den vergangenen Jahren aus dem europäischen Ausland gewonnen werden. Die Knappheit am Arbeitsmarkt hat sich auch deshalb in nur recht moderaten Preissteigerungen bei Handwerkerrechnungen niedergeschlagen. Diese Zeiten sind allerdings vorbei. Die Baukonjunktur hat europaweit an Schwung gewonnen – die Konkurrenz um die Arbeitskräfte ist also höher, was sich in den jetzt deutlich höheren Lohnabschlüssen der Branche niederschlägt. Zudem steigen die Energie- und Rohstoffkosten, die auch für den Bau einen wichtigen Faktor darstellen. Bauherren spüren bereits die stark anziehenden Preise. So rechnen die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute für dieses Jahr mit einer Steigerung um knapp vier Prozent.

Nach der langen Wartezeit auf den Handwerker dürften zukünftig also auch noch gepfefferte Rechnungen in das dann hoffentlich wenigstens schöne Heim flattern.


Wie lässt sich die Grundsteuer sinnvoll reformieren?

Stefan Bach, Claus Michelsen, erschienen am 16. April 2018 auf Makronom Blog

Mit seinem Grundsteuer-Urteil hat das Bundesverfassungsgericht endlich den Spuk der uralten Einheitswerte beendet. Bis Ende 2019 muss die Grundsteuer reformiert werden, und die neuen Besteuerungsgrundlagen müssen bis spätestens Ende 2024 eingeführt sein.

Das Urteil war so erwartet worden. Denn eine laufende Besteuerung von Vermögenswerten macht nur Sinn, wenn ihre Werte regelmäßig aktualisiert werden – was beim Grundvermögen nie funktioniert hat. Das Bewertungsgesetz schreibt zwar seit 1931 (!) vor, alle sechs Jahre neue Einheitswerte festzustellen. Geklappt hat es seitdem aber nur zweimal: 1935 und 1964. Beim letzten Mal hat es zehn Jahre gedauert, bis die neuen Werte erhoben und eingeführt wurden – und da waren sie bereits veraltet. Die Bewertungen waren aufwändig und kompliziert, taugten aber trotzdem nicht viel – es gab viele Einsprüche und Proteste. Der Frust bei Steuerpflichtigen und Finanzverwaltung war beträchtlich.

Nach diesem Debakel ignorierten alle folgenden Regierungen die notwendige Neubewertung und führten die 64er Einheitswerte einfach fort. In den neuen Bundesländern griff man auf die Einheitswerte von 1935 zurück, die mit höheren Steuermesszahlen grob auf die 1964er Wertverhältnisse angepasst wurden. Die Bewertungsstellen der Finanzämter wurden ausgedünnt – und galten mitunter als „Archipel Gulag“ für Unbotmäßige.

Das war nicht dramatisch, weil das Grundsteuer-Aufkommen recht niedrig ist. Das durchschnittliche Steueraufkommen je Objekt liegt derzeit bei 410 Euro im Jahr, bei Wohnungen sind es im Durchschnitt 200 Euro. Zum Vergleich: Für Wasser, Abwasser und Abfall zahlen wir meistens mehr als das Doppelte. Da lohnen sich einfach keine aufwändigen und regelmäßig aktualisierten Bewertungsverfahren. In vielen Ländern betragen die Grundsteuerbelastungen ein Mehrfaches, vor allem in England, Kanada, den USA und anderen angelsächsischen Ländern, wo man für Eigenheime schnell 2.000 Euro und mehr im Jahr zahlen kann.

Die Grundsteuer ist eine wichtige und sinnvolle Steuer für die Kommunen. Angesichts ihres moderaten Aufkommens könnte sie in Deutschland eine größere Rolle im Steuersystem spielen. Die neue Bemessungsgrundlage muss die legitimen Interessen der Gemeinden berücksichtigen, aber auch von den Bürgerinnen und Bürgern akzeptiert werden. Sie darf nicht die Fehler der bisherigen Regelung wiederholen, bei der mit großem Aufwand wenig sachgerechte Werte ermittelt wurden.

In diesem Spannungsfeld wurde die Grundsteuer-Reform seit Jahrzehnten auf die lange Bank geschoben. Schließlich müssen rund 35 Millionen Grundsteuer-Objekte neu bewertet werden. Seit langem wird über einfachere und pauschalierende Verfahren nachgedacht. Diese haben aber naturgemäß den Nachteil, dass sie weniger einzelfallgerecht sind. So wurden sich die Länder nie über ein pragmatisches Neubewertungskonzept einig.

Einheitsbewertung light oder flächenbezogenes Grundsteuermodell?

Die meisten Länder wollen die Grundstückswerte mit vereinfachten Verfahren verkehrswertnah ermitteln – sozusagen eine aktualisierte Einheitsbewertung light. Das lehnen reiche Bundesländer ab, allen voran Bayern, früher auch Baden-Württemberg und Hessen, inzwischen auch Hamburg. Sie fürchten deutlich steigende Belastungen guter Lagen und höhere Zahlungen im Bund-Länder-Finanzausgleich und präferieren eine einfache Besteuerung von Grundstücks- und Gebäudeflächen ohne Wertkomponente. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts sorgt jetzt für den notwendigen Einigungsdruck.

Die meisten Bundesländer haben sich auf das „Kostenwert-Modell“ verständigt, bereits seit 2016 gibt es einen entsprechenden Gesetzentwurf. Dabei wird der Bodenwert mit den Bodenrichtwerten angesetzt, die grundsätzlich bundesweit verfügbar sind. Für die Gebäude sollen pauschale Baukosten je Quadratmeter Brutto-Grundfläche angesetzt werden, die grob nach den wesentlichen Gebäudearten differenziert werden. Zusätzlich gibt es eine Alterswertminderung von maximal 70%.

Das ist zwar schon deutlich einfacher als die ziemlich nerdigen und techniklastigen „Sachwertverfahren“ der alten Einheitsbewertung oder der Erbschaftsteuer, die ohne Architekt kaum zu bewältigen sind. Aber auch hier liegt wie häufig im Leben der Teufel im Detail. Vor allem müssen die Gebäude-Daten erhoben werden, denn in der Finanzverwaltung oder bei anderen Behörden liegen die erforderlichen Informationen nicht vollständig vor. Und richtig zufriedenstellend ist das Konzept auch nicht: Modernisierte Altbauten profitieren von der hohen Alterswertminderung, ohne dass der Erhaltungs- und Modernisierungsaufwand werterhöhend berücksichtigt würde. Neubauten werden entsprechend relativ belastet, wenn man das Ganze aufkommensneutral einführt.

Das Gegenmodell ist ein rein flächenbezogenes Grundsteuermodell, das von Bayern und Hamburg unterstützt wird. Dieses bezieht sich allein auf Grundstücks- und Gebäudeflächen, ohne deren Wert zu berücksichtigen. Zwar ist die Erhebung denkbar einfach – aber eine gleichmäßige Besteuerung von guten und schlechten Lagen sowie hochwertigen und einfachen Immobilien nur nach der Fläche dürften aber viele als ungerecht empfinden.

Vor allem berücksichtigt ein derart simpel gestricktes Modell nicht, dass Kommunen mit ihren Leistungen maßgeblich den Wert der Immobilien mitbestimmen. Öffentliche Infrastruktur, kulturelle Einrichtungen oder Angebote für Unternehmen bestimmen die Standortqualität und damit auch den Wert des Grund und Bodens. Ohne die Bodenwertkomponente partizipieren die Kommunen aber nicht an den Immobilienwertsteigerungen durch öffentliche Leistungen, was steuer- und wirtschaftspolitisch nachteilig wäre.

Alternative: Bodenwertsteuer

Als sinnvolle Alternative bietet sich eine Bodenwertsteuer an. Sie ließe sich auf Grundlage der flächendeckend vorliegenden Bodenrichtwerte relativ leicht umsetzen. Diese werden regelmäßig durch die kommunalen Gutachterausschüsse auf Grundlage tatsächlicher Immobilientransaktionen ermittelt. Zwar gibt es in vielen Lagen nur wenige Verkäufe von baufreien Grundstücken. Aber dazu wurden etablierte Methoden entwickelt, um die Bodenpreise auf Grundlage der Daten aus umliegenden Regionen oder von bebauten Grundstücken zu schätzen.

Ein weiterer Vorteil der Bodenwertsteuer: Sie belastet das bewusste, häufig spekulative Brachliegenlassen von Bauflächen stärker. In den letzten Jahren steigen gerade in den Städten die Bodenpreise rasant, und nicht selten deutlich schneller als die Werte von Gebäuden. Eigentümer gut gelegener Bauflächen werden über Nacht immer reicher, ohne dass sie etwas dafür geleistet haben. Eine reine Bodenwertsteuer würde die Belastung unbebauter Grundstücke deutlich steigern und damit den Druck erhöhen, diese Grundstücke auch tatsächlich zu nutzen. In der Diskussion um bezahlbaren Wohnraum und fehlende Bauflächen ist dieser Punkt nicht zu unterschätzen.

Der Druck ließe sich weiter erhöhen, wenn der kommunale Grundsteuerhebesatz nach der Bebauungsdichte differenziert werden könnte. Im Koalitionsvertrag wurde ein ähnliches Ansinnen mit der Wiedereinführung einer Baulandsteuer als Grundsteuer C angelegt. Dies würde siedlungs- und umweltpolitische Ziele noch stärker berücksichtigen. Es entstünde ein Anreiz, Grundstücke dichter zu bebauen und damit den Flächenverbrauch zu reduzieren. Allerdings würden die Belastungsverschiebungen damit deutlich ausgeprägter. Gleichzeitig könnte ein räumlich differenziertes Hebesatzrecht auch in die andere Richtung genutzt werden, um Härten der Grundsteuerreform bei sehr teuren Lagen zu mildern.

Baukindergeld löst Probleme nicht

Claus Michelsen, erschienen am 9. April 2018 in der Fuldaer Zeitung

Die Probleme auf dem Wohnungsmarkt haben die Mitte der Gesellschaft erreicht. Angesichts immer weiter steigender Mieten und Immobilienpreise haben CDU, CSU und SPD im Koalitionsvertrag das sogenannte Baukindergeld vereinbart, um die Wohneigentumsbildung zu fördern. Familien mit einem Bruttohaushaltseinkommen von maximal 75 000 Euro, plus

15 000 Euro für jedes Kind, sollen über zehn Jahre 1 200 Euro je Kind und Jahr bekommen, insgesamt also 12 000 Euro je Spross, wenn sie für den eigenen Bedarf bauen oder eine Immobilie kaufen. Rund 90 Prozent aller Haushalte könnten davon profitieren. Klingt erst mal gut, doch so verständlich das Anliegen der Politik, den Weg ins Eigenheim erleichtern zu wol- len, auch ist – vier gewichtige Argumente sprechen gegen das Baukindergeld in seiner jetzt ausgehandelten Form.

Erstens behandelt die Politik damit vorrangig die Symptome eines knappen Immobilienangebots und sich immer weiter aufheizen- der Wohnungsmärkte. Um die Erschwinglichkeit von Wohneigen- tum mittelfristig zu sichern, müsste vielmehr ein ausreichendes Angebot an Bauflächen bereitgestellt werden. Eine Eigentumsför- derung alleine löst die grundlegenden Probleme nicht.

Der zweite Kritikpunkt verstärkt den oben genannten Aspekt. Das weit gefasste Instrumentarium dürfte vor allem den Wettbe- werb um das knappe Bauland in den Städten anheizen. Baurei- fes Land kostet dort, wo mehr als eine halben Million Menschen leben, heute rund 60 Prozent mehr als im Jahr 2010. In Städten mit mehr als 200 000 Einwohnerinnen und Einwohnern sind

es sogar 90 Prozent. Das alles bei rückläufigen Verkäufen von Bauplätzen – ein klares Indiz, dass die Reserven für Baugebiete allmählich aufgebraucht sind. Kaufwillige Haushalte nähern sich immer weiter der Grenze des Finanzierbaren. Das Baukinder- geld verschiebt diese Grenze nur noch weiter nach oben, wes- halb es letztlich zumindest in den Städten schlicht in höheren Bauland- und Immobilienpreisen verpuffen dürfte. Als dritter Kritikpunkt kommt hinzu: Das Baukindergeld würde auch die Haushalte begünstigen, die so oder so eine Immobilie kaufen oder bauen würden. In diesen Fällen wäre ein Baukindergeld nichts anderes als ein teures Geschenk aus der Steuerzah- lertasche.

Viertens fehlt eine regionale Differenzierung. Der Förderimpuls wäre in Märkten mit niedrigen Immobilienpreisen sehr groß und dort, wo die Knappheit bereits zu sehr starken Preissteigerun- gen geführt hat, etwa in großen Städten und Metropolregionen, sehr klein. Eine Familie mit einem Kind könnte bei der derzeit üblichen Verzinsung eines Kredits von zwei Prozent dank des Baukindergelds eine um rund 10 000 Euro höhere Verschul- dung stemmen oder bei einer Laufzeit von insgesamt 25 Jahren die monatliche Rate um knapp 50 Euro reduzieren. Bei identi- schen Eigenkapitalquoten von 20 Prozent bedeutet dies, dass die monatliche Belastung für den Kauf eines durchschnittlichen Reihenhauses in Berlin durch das Baukindergeld um gut vier Prozent, in einer kleinen Stadt wie Detmold aber um gut sieben Prozent sinken würde. Damit wäre das Baukindergeld eine Art Bleibeprämie für den ländlichen Raum.

Viele dieser Probleme könnten die Koalitionäre mit einem Instrumentarium umgehen, das sie im Koalitionsvertrag selbst schon vereinbart haben: Bürgschaften der Förderbank KfW. Es sind nämlich häufig nicht die laufenden Kreditraten, die Haushalte vom Eigenheimerwerb abhalten, sondern das erforderliche Eigenkapital, das immer schwerer zu stemmen ist. Bürgschaften könnten dem begegnen und gleich mehrere Vorteile vereinen: Sie würden am tatsächlichen Eigenkapital- bedarf anknüpfen, also keine großzügigen Geschenke verteilen. Somit gäbe es auch keine regionale Verzerrung mehr – in den teuren Regionen würden größere Bürgschaften gewährt, in den günstigeren Regionen geringere. Und schließlich würden die eigenen vier Wände nicht erst durch die Förderung rentabel. Es würden nur Projekte unterstützt, die für sich genommen wirtschaftlich darstellbar sind. Die Gefahr, dass die Förderung allein in höheren Bau- und Immobilienpreisen verpufft, wäre wesentlich kleiner als beim Baukindergeld.


Der falsche Weg ins Eigenheim

Claus Michelsen, erschienen am 23. März 2018 in der Frankfurter Rundschau

Ein gutes halbes Jahr hat die Regierungsbildung nach der Bundestagswahl gedauert. Die Probleme auf den städtischen Wohnungsmärkten sind in der Zwischenzeit nicht kleiner geworden – im Gegenteil, die Mieten und Immobilienpreise haben weiter kräftig zugelegt. Längst geht es dabei um mehr als bezahlbare Mieten für Haushalte mit geringen Einkommen. Auch gut verdienenden Haushalten fällt es immer schwerer, eine bezahlbare Wohnung zur Miete, geschweige denn zum Kauf zu finden.

Das lauter werdende Murren der Mittelschicht wurde offenbar erhört: Die neue große Koalition hat sich unter anderem auf das sogenannte Baukindergeld geeinigt. Familien mit einem Bruttohaushaltseinkommen von maximal 75 000 Euro, plus 15 000 Euro für jedes Kind, sollen über zehn Jahre 1200 Euro je Kind und Jahr bekommen, insgesamt also 12 000 Euro je Spross, wenn sie für den eigenen Bedarf bauen oder eine Immobilie kaufen. Rund 90 Prozent aller Haushalte könnten davon profitieren.

Das klingt erst mal gut, doch so verständlich das Anliegen der Politik, den Weg ins Eigenheim erleichtern zu wollen, auch ist – vier gewichtige Argumente sprechen gegen das Baukindergeld in seiner jetzt ausgehandelten Form.

Erstens behandelt die Politik damit vorrangig die Symptome eines knappen Immobilienangebots und sich immer weiter aufheizender Wohnungsmärkte.

Um die Erschwinglichkeit von Wohneigentum mittelfristig zu sichern, müsste vielmehr ein ausreichendes Angebot an Bauflächen bereitgestellt werden. Hier haben in der Vergangenheit vor allem die Kommunen ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Eine Eigentumsförderung alleine löst die grundlegenden Probleme nicht.

Der zweite Kritikpunkt verstärkt den oben genannten Aspekt. Das weit gefasste Instrumentarium dürfte vor allem den Wettbewerb um das knappe Bauland in den Städten anheizen.

Baureifes Land kostet dort, wo mehr als eine halben Million Menschen leben, heute rund 60 Prozent mehr als im Jahr 2010. In Städten mit mehr als 200 000 Einwohnerinnen und Einwohnern sind es sogar 90 Prozent mehr. Das alles bei rückläufigen Verkäufen von Bauplätzen – ein klares Indiz, dass die Reserven für Baugebiete allmählich aufgebraucht sind.

Kaufwillige Haushalte nähern sich immer weiter der Grenze des Finanzierbaren. Das Baukindergeld verschiebt diese Grenze nur weiter nach oben, weshalb es letztlich zumindest in den Städten in höheren Bauland- und Immobilienpreisen verpuffen dürfte.

Als dritter Kritikpunkt kommt hinzu: Das Baukindergeld würde auch die Haushalte begünstigen, die so oder so eine Immobilie kaufen oder bauen würden. In diesen Fällen wäre ein Baukindergeld nichts anderes als ein teures Geschenk aus der Steuerzahlertasche.

Viertens fehlt eine regionale Differenzierung. Der Förderimpuls wäre in Märkten mit niedrigen Immobilienpreisen sehr groß und dort, wo die Knappheit bereits zu sehr starken Preissteigerungen geführt hat, etwa in großen Städten und Metropolregionen, sehr klein.

Eine Familie mit einem Kind könnte bei der derzeit üblichen Verzinsung eines Kredits von zwei Prozent dank des Baukindergelds eine um rund 10 000 Euro höhere Verschuldung stemmen oder bei einer Laufzeit von insgesamt 25 Jahren die monatliche Rate um knapp 50 Euro reduzieren. Bei identischen Eigenkapitalquoten von 20 Prozent bedeutet dies, dass die monatliche Belastung für den Kauf eines durchschnittlichen Reihenhauses in Berlin durch das Baukindergeld um gut vier Prozent, in einer kleinen Stadt wie Detmold aber um gut sieben Prozent sinken würde. Damit wäre das Baukindergeld eine Art Bleibeprämie für den ländlichen Raum.

Viele dieser Probleme könnten die Koalitionäre mit einem Instrumentarium umgehen, das sie im Koalitionsvertrag selbst schon vereinbart haben: Bürgschaften der Förderbank KfW. Es sind nämlich häufig nicht die laufenden Kreditraten, die Haushalte vom Eigenheimerwerb abhalten, sondern das erforderliche Eigenkapital, das immer schwerer zu stemmen ist.

Bürgschaften könnten dem begegnen und gleich mehrere Vorteile vereinen: Sie würden am tatsächlichen Eigenkapitalbedarf anknüpfen, also keine großzügigen Geschenke verteilen. Somit gäbe es auch keine regionale Verzerrung mehr – in den teuren Regionen würden größere Bürgschaften gewährt, in den günstigeren Regionen geringere.

Und schließlich würden die eigenen vier Wände nicht erst durch die Förderung rentabel. Es würden nur Projekte unterstützt, die für sich genommen wirtschaftlich darstellbar sind. Die Gefahr, dass die Förderung allein in höheren Bau- und Immobilienpreisen verpufft, wäre wesentlich kleiner als beim Baukindergeld.

Die Stolperfalle vor dem Eigenheimerwerb

Claus Michelsen, erschienen am 13. Oktober 2017 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

Immer weniger Menschen finden den Weg in die eigenenen vier Wände. Gründe und Lösungsansätze.

Deutschland steht vor einer Regierungsbildung, die verspricht spannender zu werden als der vorausgegangene Wahlkampf. Ein Knackpunkt bei den anstehenden Gesprächen zwischen CDU/CSU, FDP und den Grünen dürfte unter anderem die Wohnungsmarktpolitik sein. Schon seit Jahren wird über eine Antwort auf die Wohnungsnot in den großen Städten debattiert. Und trotz aller Aktivitäten: Die Mieten steigen und steigen, ohne dass sich ein Ende dieser Hausse am Immobilienmarkt abzeichnet. Der FDP- Parteivorsitzende Christian Lindner empfiehlt, sich eine Wohnung zu kaufen, wenn man sich die Miete nicht mehr leisten könne. Wenn es denn nur so einfach wäre.

Die Hürden sind enorm

Zwar trifft es zu, dass die niedrigen Zinsen die Erschwinglichkeit von Wohneigentum deutlich erhöht haben. So konnte mit einer monatlichen Rate von 1000 Euro im Jahr 2010 ein Kredit in Höhe von etwa 170 000 Euro bedient werden. Heute wären dies bei anfänglicher Tilgung von drei Prozent gut 240000 Euro. Trotzdem finden laut Statistischem Bundesamt immer weniger Haushalte den Weg in die eigenen vier Wände. Das gilt vor allem für 30- bis 40-Jährige – der Altersgruppe, in der die meisten Familien gegründet werden. Woran liegt das? Sicherlich gibt es einen Wandel in der Erwerbswelt, der einen Teil der Kaufzurückhaltung erklärt: Der Anteil der Akademikerhaushalte mit vergleichsweise langen Ausbildungszeiten steigt, befristete Arbeitsverhältnisse werden immer mehr zur Regel, und die Berufswelt verlangt nach Flexibilität. Dennoch scheint es nicht plausibel, dass viele Haushalte die günstige Situation für den Erwerb von Wohneigentum nicht nutzen.

Allerdings ist für eine solide Finanzierung einer Wohnimmobilie neben einer ausreichenden Bonität für die Finanzierung der laufenden Belastung auch das bereits angesparte Eigenkapital maßgeblich. Dabei gilt die Faustformel, dass mindestens die Kauf- nebenkosten, bestehend aus Grunderwerbsteuer, Maklergebühren, Notar- und sonstigen administrativen Kosten, besser noch zusätzliche 15 Prozent des Kaufpreises, aus eigener Tasche gezahlt werden sollten. Diese Schwelle wird für immer mehr Haushalte, die die eigentliche Kreditrate aus ihrem laufenden Einkommen stemmen könnten, zum Problem. Denn mit den steigenden Immobilienpreisen steigen auch die Kaufnebenkosten. In Berlin betrugen die Maklergebühren und die Grunderwerbsteuer im Jahr 2010 für ein durchschnittliches neues Reihenhaus insgesamt 29 000 Euro. Im Jahr 2016 lag dieser Wert schon bei 46000 Euro. Für ein vergleichbares Objekt in München waren 2010 gut 45 000 Euro fällig – 2016 mit gut 80 000 Euro dann fast das Doppelte.

Gleichzeitig ist es bei niedrigen Zinsen schwer, der Immobilienmarktentwicklung „hinterherzusparen“. So stagnierte das als Ei- genkapital einsetzbare liquide Finanzvermögen – bestehend aus Bargeld, Festgeld oder Aktien – bei großen Teilen der Bevölkerung in den zurückliegenden Jahren. Laut einer Erhebung der Deutschen Bundesbank hatte der mittlere Haushalt im Jahr 2010 gut 17000 Euro an Finanzvermögen. Im Jahr 2016 dürften dies nur noch etwas mehr als 16 000 Euro gewesen sein. Die oberen 40 Prozent verfügten über mindestens 27700 Euro im Jahr 2010 – bis 2016 kam hier nichts Nennenswertes hinzu. Klar wird angesichts dieser Zahlen, dass für viele Haus- halte der Weg ins Eigenheim häufig bereits an der Tür der Hausbank endet.

Die Förderung des Wohneigentums hat in den Programmen der CDU/CSU und der FDP eine hohe Priorität. Die Liberalen streben zu- dem eine weitreichende Liberalisierung des Wohnungsmarkts an, um den Neubau anzukurbeln. Die Grünen hingegen legen den Fokus auf den Mietmarkt und auf ein gemeinnütziges Wohnungswesen. Ob man sich daher überhaupt auf eine Eigentumsförderung einigen kann, ist offen. Fraglich ist ohnehin, ob die vorliegenden Ansätze dem Problem überhaupt gerecht werden. So schlägt die CDU ein zehnjähriges Baukindergeld in Höhe von jährlich 1200 Euro je Kind vor – dies zielt auf die laufende Belastung ab, die aber häufig nicht das Problem ist. Die Hürde zu Beginn, das fehlende Eigenkapital, wird mit diesem Vorschlag nicht beseitigt. Er dürfte vor allem diejenigen erfreuen, die ohnehin den Weg ins Eigenheim beschritten hätten. Die FDP favorisiert Freibeträge bei der Grunderwerbsteuer, was tendenziell an der richtigen Stelle ansetzt, bei zu großzügiger Ausgestaltung aber vor allem in höheren Immobilienpreisen münden dürfte. Das viel größere Problem ist jedoch: Alle Vorschläge böten ein- und dieselbe Unterstützung für regional ganz unterschiedliche Märkte an. Mancherorts würden so sehr starke Anreize gesetzt, während die Wirkung anderswo marginal bliebe.

Flexible Förderinstrumente nötig

Besser beraten wären die zukünftigen Koalitionäre, wenn sie auf die für den Steuerzahler und die Steuerzahlerin billigere und zielge- nauere Alternative zurückgreifen würden – nämlich sogenannte Nachrangdarlehen: Der Staat könnte über die KfW Bankengruppe günstig Geld verleihen und die Lücke beim Eigenkapital ausgleichen, wenn er sich am Ende der Gläubigerschlange anstellt. Begrenzt man diese Unterstützung auf einen prozentualen Anteil des Kaufpreises, würde ein flexibles Förderinstrument entstehen, das den regionalen Marktentwicklungen Rechnung trägt und damit an sich rentablen Investitionen die fehlende Anschubfinanzierung gewährt.

Die hohe Schwelle ins Eigenheim

Claus Michelsen, erschienen am 18. September 2017 in der Fuldaer Zeitung

Niedrige Zinsen, ordentliche Einkommenssteigerungen und immer höhere Mieten: Selten zuvor scheint es sich mehr gelohnt zu haben, eine Eigentumswohnung oder ein Eigenheim zu kaufen. Zahlreiche Berechnungen zeigen, dass die unter dem Strich günstiger wäre, als ein Leben lang zur Miete zu wohnen. Doch noch immer ist Deutschland ein Land der Mieterinnen und Mieter: Der Anteil derer, die Wohneigentum besitzen, ist mit 45 Prozent aller Haushalte vergleichsweise gering. Vor allem jüngere Generationen halten sich zurück, wenn es um den Erwerb einer Immobilie geht – die Eigentümerquote der 30 bis 40-jährigen ist in den letzten Jahren gesunken, nicht gestiegen. Doch was spricht eigentlich dagegen, sich den Traum von den eigenen vier Wänden zu erfüllen?

Erklärungsansätze gibt es einige: Eine sich ändernde Arbeitswelt, längere Ausbildungszeiten, weil immer mehr junge Menschen studieren, und die Abschaffung staatlicher Vergünstigungen beim Eigentumserwerb. Plausibel erscheint es auf den ersten Blick dennoch nicht, die Kostenvorteile des Eigentums zu ignorieren und weiter hohe Mieten zu bezahlen. Doch auf den zweiten Blick ist die Zurückhaltung alles andere als abwegig. Denn den von Banken geforderten Eigenkapitalanteil bekommen immer weniger Haushalte zusammen.

Als Daumenregel gilt, dass ein Haushalt mindestens die Kaufnebenkosten, bestehend aus Maklergebühren, Notarkosten und Grunderwerbsteuer, selbst stemmen können muss, besser noch weitere 15 Prozent des Immobilienwerts. Wer allerdings durch ein langes Studium oder befristete Beschäftigungsverhältnisse erst spät damit beginnen kann, Kapital anzusparen, dem fehlt in einem Alter, in dem die Familiengründung ansteht, das nötige Startkapital für die eigene Immobilie. Dass die Kapitalerträge aufgrund der niedrigen Zinsen in den vergangenen Jahren im Durchschnitt deutlich geringer ausfielen als die Immobilienpreise stiegen, kommt noch hinzu.

Kostete beispielsweise ein neues Reihenhaus in Berlin im Jahr 2010 etwa 270 000 Euro, waren es im Jahr 2016 schon 350 000 Euro. Die Kaufnebenkosten summierten sich im Jahr 2010 auf knapp 29 000 Euro, im Jahr 2016 lagen sie für dasselbe Reihenhaus bei gut 46 000 Euro. Das mittlere Finanzvermögen der deutschen Haushalte, also alle liquiden Vermögenswerte wie Bargeld, Festgeld oder Aktien, ist laut Bundesbank demgegenüber in den Jahren 2010 bis 2014 von gut 17 000 auf 16 600 Euro gesunken, 2016 dürfte es wohl wenig mehr als 16 000 Euro betragen haben.

Diese Kombination aus sinkenden Vermögen und steigenden Immobilienpreisen führt dazu, dass sich viele Familien die eigenen vier Wände in ihrer Stadt schlicht nicht (mehr) leisten können. Wie eine aktuelle DIW-Analyse zeigt, verfügten im Jahr 2010 immerhin 40 Prozent aller Haushalte über gerade so viel Eigenkapital, um sich eine Immobilie in Berlin, Nürnberg oder Aachen zu leisten. Heute müsste das Finanzvermögen für ein Berliner Reihenhaus mehr als das 1,6-fache betragen, um die Kaufnebenkosten aus eigener Tasche bestreiten zu können. Statt Berlin könnte sich diese Haushaltsgruppe heute ein Häuschen in Leipzig, Hildesheim oder Herne leisten.

In den Bundestagswahlprogrammen der meisten Parteien finden sich Vorschläge, die den Weg ins Eigenheim dennoch ebnen sollen. So schlägt etwa die CDU für zehn Jahre ein Baukindergeld in Höhe von jährlich 1 200 Euro je Kind vor. Darüber hinaus soll es Freibeträge bei der Grunderwerbsteuer geben – in der Höhe bislang unbestimmt. Die FDP schlägt hier einen Freibetrag von 500 000 Euro vor, die SPD von 200 000 Euro. Im Gegensatz zur CDU setzen die Sozialdemokraten nicht auf eine laufende Unterstützung, sondern auf einen einmaligen Zuschuss als Familienbaugeld, das in Höhe von bis zu 20 000 Euro Familien in Regionen mit angespannten Wohnungsmärkten gewährt werden soll.

Ob diese Vorschläge dazu führen würden, dass mehr Menschen den Weg in die eigenen vier Wände finden, hängt von der Zielgenauigkeit der Förderung ab. Eine Unterstützung ähnlich der Eigenheimzulage, wie von der CDU vorgeschlagen, dürfte beispielsweise kaum Impulse setzen, denn das Problem ist in der Regel nicht die laufende Belastung, die meist nicht viel höher ausfällt als eine monatliche Mietzahlung, sondern das fehlende Eigenkapital zu Beginn. In dieser Hinsicht scheint die SPD den geeigneteren Ansatz zu haben. Auch Freibeträge bei der Grunderwerbsteuer könnten helfen, denn manche Länder haben den Steuersatz in den vergangenen Jahren nahezu verdoppelt. Eine pauschale Freistellung eines großen Teils der Transaktionen, wie von der FDP vorgeschlagen, dürfte aber vor allem in Preissteigerungen aufgehen und so in erster Linie Immobilienfirmen und das Maklergewerbe erfreuen. Fraglich ist zudem, ob die Bundesländer überhaupt bereit sind, auf die sprudelnden Steuereinnahmen zu verzichten.

Ein noch größeres Problem wäre allerdings, dass alle Vorschläge eine weitgehend einheitliche Unterstützung für regional grundlegend verschiedene Märkte anbieten. Mancherorts würden so sehr starke Anreize gesetzt, während die Wirkung in anderen Regionen marginal bliebe. So fielen in Leipzig die meisten Reihenhäuser unter einen Grunderwerbsteuerfreibetrag von 500 000 Euro, in München allerdings die wenigsten. Auch ein Zuschuss oder ein Baukindergeld wäre in der einen Region eine echte Hilfe, in der anderen aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Unter dem Strich würden Haushalte in Regionen mit niedrigen Immobilienpreisen überproportional profitieren – Immobilien sind dort aber nicht umsonst günstiger, etwa weil aufgrund des demografischen Wandels die Nachfrage in vielen eher ländlichen Gebieten sinkt. Fehlinvestitionen könnten die Folge sein.

Eine bessere Alternative wären sogenannte Nachrangdarlehen: Der Staat könnte, beispielsweise über die KfW Bankengruppe, günstig Geld verleihen und sich am Ende der Gläubigerschlange anstellen. Die Darlehen könnten von Banken als Eigenkapitaläquivalent anerkannt werden und so eine für sich genommen rentable Investition ermöglichen. Mit diesem Instrument wäre die Politik in der Lage, flexibel auf unterschiedliche Marktsituationen zu reagieren. Beispielsweise könnte vereinbart werden, dass ein Drittel des von der Bank geforderten Eigenkapitals für eine durchschnittliche Immobilie in der jeweiligen Region durch nachrangige Darlehen gewährt würde. Dies wären in Leipzig maximal 13 000 Euro für ein Reihenhaus, in München 38 000 Euro. Die Kredite dürften natürlich nur dann gewährt werden, wenn die Haushalte die laufende Belastung der Finanzierung stemmen können. Diese Bonitätsprüfung müsste eine Bank aber ohnehin vornehmen. Die Förderung würde sich daher vor allem an Haushalte richten, die über ein mittleres Einkommen verfügen, aber keine ausreichenden Ersparnisse haben. Diese Form der Unterstützung könnte vielen Haushalten den Weg ins Eigenheim ebnen und wäre gleichzeitig eine für den Steuerzahler kostengünstige Alternative zu allen anderen Vorschlägen.